Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor
Autoren: Herbert Reinecker
Vom Netzwerk:
die Nacht war es.
    Die Frau des Doktors öffnete das Fenster, und die Nacht war
    mit im Zimmer, alles was eine Nacht enthält, das Beste des Landes, das Beste von Menschen.
    Plötzlich klingelte es an der Tür, und der Lehrer kam herein, mit seiner Frau und mit Christine.
    »Ich habe gehört«, sagte er und wandte sich an mich, »daß Sie uns morgen verlassen wollen?«
    »Ja«, sagte ich, »wir fahren morgen früh.«
    Die Frau des Lehrers sah neugierig von mir zu Ursula.
    »Wir, sagten Sie?«
    »Ja, Ursula und ich.«
    »Ach«, sagte sie nur und warf ihrem Mann einen Blick zu.
    Ursula sah es mit lächelnder Überlegenheit.
    »Ja, ich gehe mit ihm nach Hamburg.« Sie behielt die Frau des Lehrers im Blick und setzte hinzu: »Er weiß es, er weiß alles.«
    Die Frau des Lehrers zuckte zusammen, ihr Mann rückte nervös an seiner Brille, Christine starrte mich an.
    »So«, stammelte die Frau des Lehrers, »was meinen Sie — «
    Ich begriff die Situation. Alle waren der Meinung, mehr zu wissen als Ursula. Niemand nahm an, daß sie selbst wußte, wie todkrank sie war.
    Aber Ursula lächelte. Sie blieb so sicher wie vorher, vollendet. Und was dies bedeutet, vollendet zu sein, das erfuhr ich jetzt. So was ist einfach von bezwingender Wirkung. Die Frau des Lehrers atmete auf, sie machte sich kleiner als sie war, sie wurde geradezu bescheiden und demütig. Und Christine starrte mich immer noch an, erst mich, dann Ursula.
    »Wenn du willst, kannst du uns besuchen«, sagte ich zu ihr.
    »In Hamburg?« fragte sie.
    »Ja«, lächelte ich. Sie war knapp fünfzehn, aber sie wußte mehr vom Leben als ihre Eltern. Sie sah uns an und stieß plötzlich hervor: »Aber gerne, das tue ich gerne.«
    Sie hatte wohl erkannt, was Liebe sein mußte. Es war einfach sichtbar, das Band zwischen mir und Ursula, die immer noch meine Hand hielt, und er floß hin und her, der Trost, den mal dieser, mal jener brauchte.
    Der Lehrer wurde fröhlich. Es erfüllte sich an ihm, was der Doktor sagte: Ab und zu braucht man Beispiele von Handlungen, die wie Wunder sind. Ein Wunder hie und da reißt die ganze Sache aus dem Dreck.
    Der Lehrer versicherte uns seines Wohlwollens, er starrte uns aus seinen blauen Augen an, er wurde sogar nett zu seiner Frau, die ob solch ungewohnten Benehmens ihrerseits aufzublühen begann.
    Aber im ganzen Kreise blieb Ursula der Mittelpunkt.
    Ich ging mit dem Doktor in die Küche. Ich folgte ihm, weil er eine neue Flasche aus dem Kühlschrank holen wollte und weil ich ihn einfach sprechen mußte.
    Wir standen in der gekachelten Küche, und er sah mich aufmerksam an.
    »Doktor«, sagte ich, »gibt es keine Möglichkeit?«
    Er schlug die Tür zum Kühlschrank zu, beschäftigte sich mit dem Stanniolverschluß der Flasche.
    »Nein«, antwortete er langsam, »heute noch nicht, jetzt noch nicht. Vielleicht später, in drei, vier Jahren.«
    Ich stand da, lehnte mich an den Küchentisch und konnte mich nicht rühren.
    »Es gibt nicht mal ein — Wunder?«
    »Nein«, sagte er bitter, »obwohl ich Wunder nie ausschließen will.«
    Er stellte die Flasche auf den Tisch, legte seine Hand auf meine Schulter. »Mein Freund«, sagte er leise, »es gibt hier keine Möglichkeit des Kampfes für Sie. Verschwenden Sie nicht Zeit mit Kampf. Denn es kommt nur darauf an, welchen Gebrauch Sie von der Zeit machen. Ich kenne Menschenleben, die achtzig Jahre währten, und sie waren nichts als Geschwätz. Vier Monate oder fünf oder auch nur zwei können reicher sein als ein solches mit Geschwätz verbrachtes Leben. Diese Chance haben Sie.«
    Ich konnte ihm nur die Hand drücken, in dem Moment übrigens, als Ursula in die Küche kam.
    Sie sah mich lächelnd an.
    »Du wirst es nicht glauben«, sagte sie leichthin, »aber ich höre sofort auf zu atmen, wenn du nicht bei mir bist.«
    Sie sah mich an, hob leicht die Hände gegen mich und setzte hinzu: »Das erschreckt mich.“
    »Nein«, entgegnete ich, »das soll es nicht tun.«
    Sie sah plötzlich müde aus.
    »Ich bringe dich nach Hause«, sagte ich.
    Sie folgte mir fast gehorsam ins Wohnzimmer zurück. Sie sah weiß aus wie eine Kerze, aber dennoch durchtränkt von Ruhe und Überlegenheit.
    Ich fuhr Ursula zurück.
    Die Nacht war nun von weichem, fast schwarzem Blau. Der Himmel übersät mit Sternen.
    Wieder lief der Motor leise, im bleichen Licht der Scheinwerfer flogen die Bäume vorbei. Der Sternenhimmel war so gestochen scharf, daß er sich auf der blanken Motorhaube spiegelte.
    »Es war ein schöner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher