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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor
Autoren: Herbert Reinecker
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verlangte, aber in der Summe ist es nicht imponierend. Du hast Geld verdient in der üblichen Weise, die erlernbar ist und für die du dich als geschickt erwiesen hast. Diese Geschicklichkeit ist kein Verdienst, sie ist Zufall und ohne Bedeutung. Ohne Bedeutung für die Frage, die einmal im vollen Ernst gestellt wird: Wer bist du?
    Das Telefon klingelte immer noch, als ich das Haus verließ. Irgend jemand schien es für wichtig zu halten, mit mir zu reden. Es war nur richtig, den Hörer nicht abzunehmen, denn ich hatte nichts mehr zu sagen. Anderen nicht und mir selber auch nicht.
    Ich fuhr von Hamburg aus nach Süden.
    Ich nahm die Bundesstraße, denn ich wollte langsam fahren.
    Ich war einfach zu erledigt, um mich konzentrieren zu können. Aber ich hätte um keinen Preis in einer Stadt und in einem Leben bleiben können, für das ich aus Gründen, die mir selber nicht völlig klar waren, nicht das geringste Interesse mehr besaß.
    Es war keine Flucht, es war weggehen, Verlassen eines Ortes, der mir nichts mehr sagte und der mit mir nichts mehr zu tun hatte.
    Es war einfach etwas zu Ende, und ich wußte nicht, warum.
    Ich hatte vor, nach Italien zu fahren. Ich dachte, fahr nach Süden, dort wird Frühling sein. Kann sein, der schreckliche Winter hat dich verrückt gemacht.
    Aber ebenso plötzlich wußte ich, daß es verkehrt sein würde, nach Italien zu fahren.
    Ich kannte dies ja alles, und was ich fürchtete, war die ewige Wiederholung.
    Es gab einen Moment wirklicher Panik, ein Dahinrollen auf einen vollendeten Endpunkt zu. Aber niemand kann stehenbleiben, sitzenbleiben, mit Denken aufhören.
    Ich bog von der Hauptstraße ab.
    Ich las keine Straßenschilder, ich wußte nicht, wo ich war.
    Ich spürte nur eine grenzenlose Unlust, irgend etwas in einer Weise zu tun, die mir bekannt war.
    »Du hast einen psychischen Kollaps«, hatte Dettmann gesagt, »und so was ist die Folge von Überarbeitung.«
    Er hatte keine Ahnung, aber ich fand es nicht der Mühe wert, es ihm zu erklären.
    Ich kannte die Gegend, die ich jetzt durchfuhr, nicht.
    Die Dorfnamen am Straßenrand waren mir völlig neu, ich hatte sie nie gehört.
    Die Landschaft war merkwürdig leer und fremd. Abweisend, aber sie spiegelte nichts vor, keine Lieblichkeit, keine Romantik. Vernarbte Bauernwiesen mit jenem Grün, das noch keine Farbe ist, unbelebte Erde, die tot daliegt und noch von keiner Ahnung von Leben durchsetzt ist.
    Ein paar dunkle Waldstücke wie weggestellte Kulissen. Eine Überlandleitung auf Stelzen, ein paar nasse Häuser, Scheunen, die verwahrlost in irgendwelchen Wiesen stehen. Ein Hund, der einem nachblickt. Ein paar Frauen, die keine Gesichter haben, nur Flecke unter Kopftüchern.
    Fahr nur zu, sagte ich mir, das ist die richtige Gegend. Es ist die richtige Gegend, weil nicht mehr gelogen werden darf. Diese Gegend lügt nicht. Sie zeigt sich, wie sie ist, ungeschminkt, aufrichtig.
    Ich fuhr durch mehrere Dörfer hindurch, bis ich das Gefühl hatte, weit genug entfernt zu sein.
    Ich hielt vor einem Gasthof, der von unüberbietbarer Häßlichkeit war. Ein paar verwitterte Steinstufen mit einem Eisengeländer, eine Eingangstür, die möglicherweise einmal grün gestrichen war.
    Alle Landgasthäuser wirken völlig unbelebt. Dieses auch. Ich stand eine Weile in einem Gastzimmer, das zum Frieren war, denn der riesige Eisenofen war kalt. Ein paar Tische, ein paar
    Stühle. Und an der Wand Porträts von schnauzbärtigen Männern aus der Anfangszeit der Fotografie.
    Eine Frau kam schließlich und machte aus ihrer Verwunderung wie aus ihrem Mißtrauen kein Hehl.
    Ich fragte, ob man hier bleiben könne. Sie verstand erst nicht recht, und auch dann, als sie mich verstanden hatte, fragte sie noch zweimal, ob ich wirklich ein Zimmer haben wolle.
    Ob ich Vertreter bin, wollte sie wissen.
    Ich sagte nein, ich verträte absolut nichts.
    Ich bekam ein Zimmer im ersten Stock.
    Es entsprach durchaus dem übrigen. Es war von einer Häßlichkeit, die fast Charakter hatte.
    Eins hatte ich erreicht: Ich war sicher auf dem mir fremdesten Punkt der Erde. Ich setzte mich und fühlte mich am Ende. Ich war’s wohl auch.
    Am Lärm draußen hörte ich, daß einige Leute meinen Wagen umstanden. Es war ein großer, fabelhafter Wagen, ich hörte, wie sie es sagten, obwohl sie in ihrem Dialekt schwer zu verstehen waren. Mein Lederkoffer — lächerlicherweise mit Hotelzetteln beklebt, die wie Papageien auf dem schwarzen Leder hockten — stand auf der Erde. Er wirkte so
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