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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden
Autoren: Melanie Meier
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    Sie griff nach der Nudelsuppe, drehte das Fertigprodukt um und suchte nach den Zutaten. Stirnrunzelnd las sie, was sich alles nach Verzehr in ihrem Magen tummeln würde und stellte den Beutel zurück ins Regal.
    Dieses ständige Einkaufen ging ihr auf die Nerven. Sie wusste schon gar nicht mehr, worauf sie Hunger hatte, denn das Gefühl des Hungers konnte sie nicht mehr einordnen. Manchmal hatte sie Lust auf etwas, ja, aber Hunger?
    Sie seufzte und drehte sich um. Vielleicht Nudeln? Mit Pesto? Eine Fertigpizza? Eine Mehlspeise?
    Zum unzähligsten Mal wünschte sie sich, sie könne sich wirklich von Licht und Liebe ernähren. Wie hatte es nur so weit kommen können, dass das Essen und alles damit verbundene zu einer Belastung mutiert ist?
    Sie schob sich an einem schwitzenden, alten Pärchen vorbei, das Colaflaschen in den Einkaufswagen lud und lief weiter ziellos durch den Supermarkt. Vor dem Regal mit der Kosmetika blieb sie stehen, nestelte den MP3-Player aus der Jackentasche und übersprang ein paar Lieder, bis sie in ihrem Gehörgang etwas vernahm, das sie jetzt ertragen konnte. Beim Zurückschieben des Gerätes in die Tasche fiel ihr Blick auf einen Stapel Toilettenpapier. Das vielleicht? Überbacken mit Gouda? Sie kicherte und ging weiter.
    Eine Minute später stand sie wieder vor den Suppen, griff sich ein Glas mit Gemüsebrühe und eine Packung Suppennudeln und marschierte auf die Kassen zu. Dann eben wieder Suppe. Den dritten Tag in Folge. Aber wenigstens wurde man auf das Zeug nicht fett.
    Sie legte ihre Beute auf das Fließband, griff darüber in den Käfig, in dem die Zigaretten gehalten wurden und holte den Tabak heraus, den sie bevorzugte. Als sie mit Bezahlen an der Reihe war, nahm sie die Kopfhörer aus den Ohren und grüßte die Kassiererin mit einem Nicken. Sie sah zu, wie ihre Beute, von einem Piepsen begleitet, über den Scanner gezogen wurde, eines nach dem anderen, und wie die Kassiererin etwas in die Tastatur der Kasse eintippte. Als sich diese zu ihr umdrehte, um ihr den Preis zu nennen, passierte es:
    Ein Ruck ging durch ihren Körper – nein, durch den ganzen Supermarkt. Die Lichter flackerten und gingen aus, einige der Neonröhren zersprangen und schickten einen Glasregen über die weiten Flure des Marktes. Von irgendwo draußen war ein Schrei zu hören; ein Geräusch, das sie nicht für menschlich hielt. Weiter hinten, bei den Fleischtheken, fiel ein Regal um, sie konnte sehen, wie die anderen Reihen unter der Wucht schwankten. Über sich, im Kabelschacht der Decke, hörte sie ein Zischen und ein Tappen, als liefe etwas darin herum, und in der nächsten Sekunde fielen links mehrere der viereckigen Abdeckungen herunter. Aus einem der Löcher folgte ein abgerissenes, daumendickes Kabel, das Funken sprühte.
    Ihr entkam ein Keuchen. Sie duckte sich neben die Kasse und ging in die Knie. Die wenigen Neonröhren, die noch ein milchiges, flackerndes Licht verbreiteten, knackten und klickten, ansonsten war es jetzt still.
    Ein paar Momente blieb sie so in der Kauerstellung und starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin, bevor sie sich ein wenig aufrichtete. Ihr fiel auf, dass der Boden jetzt verschlammt und dreckig war, dass sich unzählige Fußspuren in der Schlacke erkennen ließen. Stirnrunzelnd betrachtete sie eine der Spuren, die eindeutig von einem Hund stammte.
    Sie griff mit der Rechten nach oben, um sich an der Kasse hochzuziehen.
    Der Supermarkt war leer. Nicht nur menschenleer, auch die Regale waren ausgeräumt, als sei der Markt seit Ewigkeiten nicht mehr in Betrieb und von einer hungrigen Meute geplündert worden. Lebensmittel lagen herum; vor ihren Füßen ein halber Toast, direkt vor der Kasse eine aufgerissene Schachtel Cornflakes.
    Sie schluckte schwer und sah auf den Stuhl, auf dem gerade noch die Kassiererin gesessen hatte. Er lag umgekippt in dem Kabäuschen, an einigen Stellen war der Stoff zerfetzt, die Stopfwolle quoll hervor.
    »Heilige Scheiße«, murmelte sie und drehte sich um.
    Ein Kopf schob sich in ihr Blickfeld. Sie zuckte zusammen, starrte in die leblosen, rotgeränderten Augen, musterte das verfilzte Haar und die bleiche Gesichtshaut. Es handelte sich um eine Frau – zumindest war es einmal eine gewesen.
    »Was ist hier...«, begann sie, dann sprang die Gestalt sie an. Sie warf sie um, sodass sie mit dem Kopf gegen die Kasse knallte. Die Irre gurrte dabei wie eine Taube, vergrub die Fingernägel in ihren Armen und drückte sie zu Boden.
    Sie schrie.
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