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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor
Autoren: Herbert Reinecker
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was er sagte, daß ich mich in einer Krise befand, das Leben, das ich geführt hatte, überblickte und nichts Gutes daran fand. Ich erstickte in quälender Lebensunlust.
    Ursula hörte mir aufmerksam zu.
    »Ich verstehe das«, sagte sie. »Und wie kamst du hierher?«
    »Zufällig«, erwiderte ich, »ich hielt irgendwo vor einem Gasthaus, drüben in Bredersdorf . Ich soff eine Flasche Wacholderschnaps aus, und die Wirtin, die sich keinen Vers darauf machen konnte, wer ich war und was ich wohl in dieser weltabgeschiedenen Gegend wollte, holte Doktor Färber.
    Er hat mir später erzählt, was sie sagte. Sie hatte gesagt: >Sehen Sie sich den Kerl mal an, Doktor. Ich habe das Gefühl, der sucht sich hier einen passenden Friedhof aus.<«
    Sie lachte und sah mich immer an.
    »Und findest mich«, murmelte sie, »was fast dasselbe ist.«
    »Nein«, erwiderte ich hart.
    »Das Leben?« fragte sie, »fandest du das?«
    »Ja«, sagte ich.
    Die ganze Nacht war erfüllt von Gesprächen, von Zärtlichkeiten. Ihre bleiche Haut schimmerte im Licht der herunterbrennenden Kerzen. Sie lag schließlich erschöpft in meinem Arm, perlmuttbleich, federleicht, alle Umrisse wie mit einem dünnen Stift gezeichnet.
    Schon fast schlafend sagte sie fast im Triumph: »Diese Nacht ist wie ein Jahr.« Flüsternd: »Wie ein Jahr mehr.«

    Ich fand Doktor Färber am nächsten Tage nachmittags in einem Gasthof von Mierisch -Land.
    Immer noch hingen dort die verstaubten Girlanden. Ausgestopfte Hirschköpfe blickten von der Wand mit glasigen, unbewegten Blicken.
    Der Doktor trug wie immer seine Gamaschen und schrieb Rezepte aus.
    Er sah hoch, als ich an den Tisch trat.
    »Sie sehen aus«, sagte er, »als hätten Sie spät gefrühstückt.«
    »Richtig, Doktor«, grinste ich.
    »Ich dachte schon«, murmelte er, »daß ich mir keine Sorgen machen muß.«
    Dann wandte er sich seinen Patienten zu.
    Ich fuhr wieder mit ihm. »Lassen Sie Ihren Wagen stehen«, sagte er, »wir kommen hier wieder vorbei.«
    Ich stieg zu ihm in den Volkswagen. Wir fuhren los, und ich sagte: »Morgen, Doktor, fahre ich ab.«
    Er schwieg. Dann sagte er: »Dieser Satz wird einen zweiten zur Folge haben, nehme ich an.«
    »Ja, Doktor«, fügte ich hinzu, »ich nehme Ursula mit.«
    Er wurde plötzlich ganz ernst. Dann murmelte er: »Großer Gott.« Er setzte härter hinzu: »Haben Sie das genau überlegt? Wollen Sie wissen, von einem Arzt wissen, wie sie zugrunde gehen wird? Soll ich Ihnen Einzelheiten erzählen?«
    »Nein«, erwiderte ich, »was immer Sie mir auch erzählen, es spielt keine Rolle.«
    »Nein?« schrie er fast. Er hielt den Wagen mit einem Ruck an, nur um mich ungefährdet lange und aufmerksam ansehen zu können.
    »Lieben Sie sie?« fragte er.
    »Diese Frage ist zu einfach, Doktor, aber wenn Sie so wollen, ich liebe sie.«
    Nun begann er langsam zu lächeln. »Sieh mal an«, sagte er, »da habe ich Sie in einem Gasthof aufgelesen, völlig betrunken und am Rande Ihrer Kräfte.« Er nickte. »Ganz schön munter sind Sie wieder.«
    Er schaltete und fuhr weiter. Er sprach fröhlicher, als sei er plötzlich in glänzender Laune.
    »Ab und zu braucht man Beispiele von Handlungen, die ungewöhnlich sind und auf der Habenseite zu Buch stehen. Sie begegnen einem selten, sie gehören zu den Wundern des menschlichen Lebens. Und ein Wunder hie und da reißt die ganze Sache aus dem Dreck. Was wollen Sie machen in Hamburg?«
    »Ich werde sie mit in mein Haus nehmen, weil sie dahin gehört. Sie wird bestimmen können, wo sie beabsichtigt zu bleiben. Wir können reisen, aber ich werde Zeit haben, für sie dazusein.«
    Ich machte kein Hehl daraus, daß ich mich freute, daß ich von einer unendlichen Erwartung erfüllt war, als käme etwas Reiches auf mich zu, Reichtum an wirklichem Leben. Nie war ich so voll guter Vorsätze, und ich wußte, daß ich sie erfüllen würde — weil ich nun anders in der Welt stand.
    »Daran sind Sie schuld«, sagte ich dem Doktor, »Sie haben das menschliche Leiden vor mir ausgebreitet und die Lebenskraft sichtbar gemacht, für mich sichtbar. Sie sagten das einmal: Sie brennt in jedem.«
    Wir fuhren am Kleinbahnhof Mierisch -Land vorbei. Ich erinnerte mich des Epileptikers.
    »Wo ist er?« fragte ich den Doktor.
    »Er arbeitet wieder«, sagte der Doktor, »der Vorarbeiter hat einen Kleinwagen. Er holt ihn morgens ab, ein Umweg von fünf Minuten. Er darf sich nun die volle Rente verdienen.«
    Der Doktor fuhr weiter.
    Er hielt vor Siedlungshäusern, vor
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