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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar
Autoren: Anja Berger
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einen Augenblick lang nicht, was geschehen war. Er fand aber schnell wieder zu sich.
    Er drückte aufs Gas. Gleichzeitig griff er nach seinem Stiefel.
     
    Emma versuchte sich auf dem Stein zu halten. Und sie bemühte sich, zu sehen, was vor sich ging.
    Sie erkannte nicht genau, was geschah. Sie konnte es nur erahnen. Die beiden Männer kämpften miteinander. Das war sicher. Eine Erinnerung durchzuckte sie.
    Das Messer. Antonius hatte ein Messer. Wo, wusste sie nicht, aber sie war sich sicher. Sie erinnerte sich an den Druck der Klinge an ihrem Hals, als er das Seil aufgeschnitten und den Sack von ihrem Kopf gezogen hatte.
    Sie musste ihn warnen. Jetzt, da sie einigermassen stand und nicht mehr hing, konnte sie das auch. „Ben! Pass auf, er hat ein Messer!“, rief sie ihm zu, so laut sie konnte und so gut es ihre angeschlagene Stimme zuliess.
    Sie vermochte es kaum, den Motor des Pickups zu übertönen.
    Aber Ben hörte sie. Aus Reflex hob er den Kopf in ihre Richtung.
    Ein fataler Fehler.
     
    Er griff in den Schaft seines Stiefels. Mit den Fingern umschloss er fest den Griff des Messers. Er hörte, wie Emma etwas rief und sah, wie Ben sich ablenken liess.
    Er nützte die Gunst des Augenblicks, zog das Messer und holte aus.
     
    Ihre Worte trafen Ben härter, als eine Faust es hätte tun können.
    Ein Messer?
    Sofort realisierte er, dass er sich gerade eben schutzlos auslieferte. Ben registrierte eine Bewegung im Augenwinkel. Sein Kopf schoss zurück.
    Instinktiv hob er den Arm.
    Das Messer traf auf das feste Leder der Motorradjacke. Es glitt durch die Tierhaut wie durch Butter.
    Ben schrie auf vor Schmerz als sich die Klinge in sein Fleisch senkte.
    Blut quoll aus der Wunde.
    Aber Ben fasste sich, versuchte die blutende Wunde zu ignorieren.
    Antonius holte erneut mit dem Messer aus und zielte auf Bens Hals. Dieses Mal war Ben vorbereitet. Er hob seine Hand, erwischte Antonius am Handgelenk und wehrte den Stich ab. Antonius hielt dagegen.
    Im Handgemenge rutschte Antonius Fuss vom Gas. Das Pedal schien vergessen.
    Mit aller Kraft versuchte Ben Antonius Handgelenk gegen das Lenkrad zu schlagen.
    Ben gewann das Kräftemessen. Als Antonius zum ersten Mal nachgab, nutzte Ben die Chance.
    Die Hand prallte heftig gegen das Steuer. Im Hangelenk knakte etwas. Antonius jaulte auf und liess das Messer fallen.
    Aber er gab sich nicht geschlagen. Wütend krallte er seine freie Hand in Bens blutende Schnittwunde. Das zeigte Wirkung. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte Ben seinen Griff. Antonius befreite seine geschändete Hand und drückte Bens Kopf weg. Dieser gab die Gegenwehr von einer Sekunde auf die andere auf und liess sich fallen. Antonius verlor das Gleichgewicht und stürzte beinahe aus dem Wagen. Er konnte sich aber gerade noch am Lenkrad festhalten.
    Ben nutzte die Gelegenheit. Er drückte sich vom Boden weg, setzte erneut zum Angriff an. Er holte mit dem Ellbogen aus.
    Antonius warf sich auf die Beifahrerseite und trat gleichzeitig wieder aufs Gas.
     
    Emma wurde unruhig.
    Der Motor heulte. Die Räder spulten durch. Abgase stiegen ihr in die Nase.
    Die Kette war zum Zerreissen gespannt.
    Das Gebälk knackte bedrohlich.
    Wenn das so weiter ging, würde es bald nachgeben.
     
    Bens Ellbogen tauchte ins Polster des Fahrersitzes ein.
    Antonius griff in den Fussraum.
    Er bekam das Messer zu fassen. Er richtete sich auf und zielte auf Bens Kopf.
    Ben wich aus. Das Messer stach in das Polster, wo zuvor Bens Ellbogen gelandet war. Ben reagierte prompt. Er packte Antonius Arm, damit er das Messer nicht wieder aus dem Sitz ziehen konnte und verhinderte so auch, dass Antonius ihm erneut auswich.
    Darauf bedacht, das Gas nicht unter den Füssen zu verlieren, wollte Antonius Ben mit seiner freien Hand am Kragen packen.
    Bevor Antonius Ben zu fassen bekam, holte Ben erneut mit dem Ellbogen aus.
    Und diesmal traf er. Er platzierte seinen Ellbogen direkt an Antonius Schläfe.
    Und dann geschah alles gleichzeitig.
    Ben sah, wie Antonius‘ Augen sich verdrehten.
    Er hörte ein ohrenbetäubendes Krachen.
    Er spürte, wie er gegen den Sitz geschleudert wurde.
    Er bemerkte, wie ihm der Boden unter den Füssen weggerissen wurde.
    Er begriff, dass der Pickup sich von seinen Fesseln befreit hat. Dass er an Fahrt gewinnen würde. Dass er in halsbrecherischem Tempo über Stock und Stein die Wiese hinunter rasen würde. Direkt auf den Wald zu.
    Zusammen mit Emma, die die Schlinge noch um den Hals trug.
     
    Emma hörte ein Krachen.
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