Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar
Autoren: Anja Berger
Vom Netzwerk:
den Schlaglöchern aus, so gut es ging. Dennoch setzte er seinen Weg unbeirrt fort.
    Er kam auf die Gerade. Und sah den Pickup. Die Scheinwerfer waren noch an und beleuchteten den Weg davor. Zusammen mit dem Scheinwerfer seines Motorrads wirkte die Umgebung wie ein überdimensionales Schattenspiel. Auf der Ladefläche bewegte sich etwas. Ben konnte schemenhaft eine Gestalt erkennen. Sie war über etwas gebeugt. Jetzt hielt sie inne. Und sah sich um.
    Ein Mann. Er entdeckte Ben. Und schien zu erstarren. Als hätte man ihn ertappt.
    Erschrocken liess er etwas Langes, Schlankes los, das schlaff auf die Fläche fiel.
    Ein Arm?
    Hastig stand er auf und…
    Zog er sich etwa die Hose hoch?
    Ben kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Tatsächlich, der Mann schloss notdürftig seine Hose. Beinahe gleichzeitig sprang er vom Pickup. Und liess das, worüber er gebeugt gewesen war, auf der Ladefläche zurück.
    Da waren Füsse. Eindeutig.
    Emma. Das Bild von dem Mann, der sich die Hose hochzog, schoss Ben durch den Kopf und brannte sich ein.
    Was hatte das Schwein mit ihr gemacht?
    Ben sah rot.
    Seine Alarmglocken schrillten, doch er konnte sie nicht hören.
    Er legte den Gang ein und gab Gas.
     
    So tat er es auch. Er hüpfte in seinen Wagen, legte den Gang ein, löste die Handbremse und sah in den Rückspiegel. Er schaute zu, wie das Motorrad sich näherte.
    Nur noch einen kurzen Augenblick.
    Noch ein bisschen. Noch ein bisschen. So ist es gut.
    Jetzt.
    Er drückte sein Gaspedal durch. Erde und Kies stoben in die Luft. Der Pickup raste bergan.
    Er beobachtete das Motorrad im Rückspiegel.
    Die Kette spannte sich.
    Er lachte laut auf.
     
    Ben traf an der schmalen Stelle ein, als die Kette voll gespannt war.
    Er hatte keine Chance. Keine Zeit zu reagieren.
    Sie erwischte ihn zuerst an den Oberarmen, traf gleich darauf auf die Brust und riss ihn in voller Geschwindigkeit vom Motorrad.
    Das führerlose Fahrzeug spickte weg.
    Ben wurde auf die Erde geschleudert. Regungslos blieb er liegen.
     
    Auf den Boden geplumpst wie ein Kartoffelsack.
    Er war sehr zufrieden mit sich selbst. Noch einmal hielt er kurz an, ging um den Wagen herum und löste die Kette. Jetzt war es egal, ob er Spuren hinterliess oder nicht. Es war das grosse Finale und alle sollten endlich erfahren, wer sie zum Narren gehalten hatte.
    Zeit, den Menschen zu beweisen, dass der Idiot vom Reichhof so dämlich nicht war. Ganz im Gegenteil. Sie waren die Idioten gewesen. Die ganze Zeit über. Ihr grösster Fehler war, dass sie ihn unterschätzt hatten. Und jetzt war der Tag gekommen, diesen blasierten Dorfbewohnern ihre eigene Dämlichkeit ins Gesicht zu klatschen.
    Immer noch lächelnd lenkte er den Pickup aus dem Wald hinaus, auf die grünbraune Ebene.
    Es hatte sich nichts verändert.
    Die Bergspitzen, die das ansteigende Gelände halbmondförmig einrahmten, waren immer noch dieselben. Genauso wie die mächtigen Tannen am Rand der Wiese.
    Und dunkel erhob sich der Balken. Ein Mahnmal. Düster. Unheilvoll.
    Er holperte mit seinem Pickup über das Feld. Stets bergan, bis er an einem steinernen Fundament ankam. Von der Erde nach und nach begraben. Von Pflanzen überwuchert.
    Das war alles, was noch von der einst ertragsreichen Alphütte übrig geblieben war.
    Und dass es so war, war sein Verdienst.
    Er brachte den Wagen vor den Überresten des Fundaments zum Stehen. So nahe wie möglich an Miriams Balken.
    Dieses Mal stellte er den Motor aus. Er wollte sich Zeit lassen. Das Ende geniessen.
    Immer noch ein Lächeln auf den Lippen ging er zu der Ladefläche. Er nahm sich das Seil, legte es sich über die Schulter und kletterte zum Balken.
    Miriams Balken war ein hufeisenförmiges Konstrukt aus zwei Beinen und einem Querbalken. Früher gab es darum herum Wände. Und das massive Holz stützte das Tenn.
    Zumindest solange, bis er alles abgefackelt hatte.
    Er erinnerte sich an den Moment, in dem das Feuer langsam schwächer geworden war. Fasziniert hatte er beobachtet, wie die Balken den Flammen trotzten. Dass die Balken fast unversehrt blieben, hielten die Menschen für ein Wunder.
    Dabei war es einfache Wissenschaft gewesen.
    Er hatte das Holz nur gut wässern müssen. Das war alles.
    In seiner Erinnerung konnte er die Hitze erneut auf der Haut spüren. Er schüttelte den Kopf.
    Weg mit der Vergangenheit. Zurück in die Gegenwart. Denn die galt es jetzt zu geniessen. Er nahm das Seil von der Schulter und warf es über den Querbalken.
    Wie damals.
    Das eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher