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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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rächen.
Dieser falsche Aisler war nur ein Werkzeug, von einem Drogencocktail
aufgeputscht, der ihn gleichzeitig gefügig und ungemein gefährlich machte. So
deutlich, wie sie gerade noch die Stimme des echten Aisler zu hören geglaubt
hatte, spürte sie, dass sie ihm hier und jetzt ausgeliefert war, auch wenn er
sich mittlerweile eines anderen Körpers bediente. Die Gestalt, die sich mühsam
hochrappelte, um sich mit erhobener Eisenklaue über sie zu beugen, war nur eine
Puppe, an deren Fäden ein unsichtbarer Spieler zog. Eine Puppe, die nicht
einmal wusste, dass es diesen Spieler gab.
    Er war der falsche und der echte Aisler zugleich.
    Ich habe dir gesagt, dass ich dich kriege,
Miststück, wisperte seine Stimme, ohne dass seine Lippen sich bewegt
hätten. Hinter dem Schmerz und dem Zorn und dem künstlich erzeugten Wahnsinn in
seinen Augen erschien ein düsteres, durch und durch böses Glühen, das sie schon
einmal in den Augen eines anderen gesehen hatte, am selben Ort, aber in einem
anderen Leben und einer anderen Zeit.
    Trappelnde Schritte kamen näher. Schatten und Gestalten wogten am
Rande der isolierten Zeit, in der sie gefangen waren, und plötzlich brach die
kreischende Musik ab. Jemand schrie etwas und ein scharfer, peitschender Knall
erscholl; vielleicht ein Schuss, vielleicht auch etwas anderes. Der böse
Triumph in Aislers Augen loderte noch heller. Als hätte er alle Zeit der Welt,
beugte er sich vor, riss sie so mühelos, wie sie selbst es gerade mit ihm getan
hatte, in die Höhe und stieß sie mit dem Rücken gegen die Wand. Seine andere,
eisenbewehrte Hand hob sich, und die Spitzen an Zeige- und Ringfinger zielte
nun auf ihre Augen.
    Eine der schattenhaften Gestalten kam näher. Sie trug keine
Polizeiuniform, sondern eine alberne Windjacke, wie man sie eher bei einem
Halbwüchsigen erwartet hätte. Blut strömte aus ihrer zerschnittenen Kehle und
färbte das Hemd darunter rot, und in ihren Augen stand ein Vorwurf geschrieben,
dass sie ein Versprechen, das sie ihm in dieser Form niemals gegeben hatte, nun
doch nicht einlösen würde.
    Das war’s dann, Miststück, sagte Aisler,
auch diesmal wieder, ohne dass seine Lippen sich bewegt hätten. Wir sehen uns in der Hölle.
    Â»Nicht ganz«, antwortete Conny. »Aber warum wartest du nicht dort
auf mich?«
    Seine Hand stieß mit fürchterlicher Wucht zu, und Conny griff ohne
Hast nach seinem Handgelenk, verdrehte seinen Arm und rammte ihm die eisernen
Zinken seiner künstlichen Klaue bis zum Anschlag ins Herz.
    Es hatte zu regnen begonnen. Die Luft, die durch die weit
offen stehenden Hecktüren hereindrang, roch auf eine ihr sonderbar unangemessen
erscheinende Weise frisch. Der Regen strich mit einem seidigen Geräusch über
das Wagendach und die Scheiben, und Conny ertappte sich bei dem Gedanken, dass
sich ein Mensch offensichtlich an alles gewöhnt. Mittlerweile erschien es ihr
vertraut, auf der harten Pritsche eines Krankenwagens zu sitzen und jemanden an
sich herumfummeln zu lassen. Selbst der fassungslose Ausdruck im Gesicht des
jungen Notarztes kam ihr bekannt vor – auch, wenn sie ihn bisher noch nicht in
dieser Ausprägung erlebt hatte.
    Â»Ich verstehe das einfach nicht«, murmelte er, zum vierten oder
fünften Mal … vielleicht war es auch schon öfter gewesen. Conny hatte nicht
mitgezählt.
    Der Arzt (es fiel ihr sonderbar schwer, ihn als einen solchen zu
sehen. Er konnte keinen Tag älter als fünfundzwanzig sein und wirkte in seiner
orangeroten Jacke eher wie ein Kind, das die Arbeitskleidung seines großen
Bruders angezogen hatte) sah sie verunsichert an. »Dass sie nicht den kleinsten
Kratzer haben«, fuhr er fort.
    Â»Und das stört Sie?«, fragte Conny. Sie registrierte sein
Erschrecken und fügte mit einem leisen Lächeln und in versöhnlichem, fast
heiterem Ton hinzu: »Also, eigentlich bin ich ganz froh darüber.«
    Â»Ich natürlich auch«, versicherte er hastig. »Nur …« Er rang
sichtlich um Worte und rettete sich schließlich in ein nur umso hilfloser
wirkendes Schulterzucken. »So, wie Sie aussehen …«
    Conny setzte zu einer noch scherzhafteren Antwort an, die etwas mit
ihrem Alter und dem Unterschied zu seinem und vielleicht seiner Sichtweise von
Frauen zu tun hatte, beließ es aber dann bei einem Lächeln. Der arme Kerl war
sowieso schon völlig neben der
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