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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kapitel 1
    Ohne den Leichenwagen mit dem Sarg auf dem Dach hätte sie den Laden
vermutlich nicht einmal gefunden. Ihr sündhaft teures GPS -System
hatte ihr den Stinkefinger gezeigt und sie gleich dreimal an der entscheidenden
Abzweigung vorbeigelotst, um sie fünfzig Meter weiter mit einer enervierend
freundlichen Stimme zum Wenden aufzufordern, und wäre sie dem (eigentlich
unübersehbaren) Hinweisschild gefolgt, dann hätte der betagte Toyota jetzt
wahrscheinlich bis zu den Achsen im Schlamm gesteckt, wenn sie sich nicht
gleich auf dem Dach liegend und fünf Meter tiefer auf den Bahngleisen
wiedergefunden hätte. Conny fragte sich nicht zum ersten Mal – und nicht zum
ersten Mal vergeblich – warum die Betreiber des Trash sich eigentlich solche Mühe machten, ihr Etablissement zu verstecken .
    Sie fragte sich auch nicht zum ersten Mal, was das Trash eigentlich war.
    Natürlich wusste sie es. Sie war nicht ganz so blauäugig, wie manche
ihrer sogenannten Kollegen es gerne darstellten, und hatte ein paar
Erkundigungen eingezogen und im Internet recherchiert: ein ehemaliges
Fabrikgelände, das nun eine Mischung aus Diskothek und Veranstaltungsort
beherbergte und sich in den letzten Jahren zu einem Insider-Tipp der
Gothic-Szene entwickelt hatte.
    Aber sie überlegte trotzdem – und das nicht unbedingt mit einem
guten Gefühl –, was sie hinter den Türen des großen, unscheinbaren Gebäudes vor
ihr erwarten mochte, das einst wummernde Maschinen beherbergt hatte. Eine
Diskothek, gut. Eine Gothic-Diskothek, das war vielleicht schon weniger gut –
nicht, dass sie prinzipiell etwas gegen die Gothic-Szene oder ihre Anhänger
gehabt hätte, doch sie hatte das entsprechende Alter nun wirklich hinter sich,
und auch die Musik traf nicht mehr unbedingt ihren Geschmack – und das
Publikum, das heute dort verkehrte … nun ja.
    Conny schnippte den Stummel ihrer Zigarette aus dem Fenster, ohne
auch nur einen Anflug schlechten Gewissens dabei zu verspüren, zündete sich
praktisch noch in der gleichen Bewegung eine weitere West an und ließ ihren
Blick zum wiederholten Male über den nur zur Hälfte belegten, schlammigen Parkplatz
schweifen. Für die meisten wäre dieser Parkplatz nichts anderes gewesen als
eben ein Parkplatz, aber ihr kundiger Blick verriet ihr auch noch eine Menge
mehr. Der offenbar mit einer Rolle lackierte ehemalige Leichenwagen mit dem
Pappsarg auf dem Dach, dem sie es letztendlich verdankte, das Trash überhaupt gefunden zu haben (sie war ihm kurzerhand
gefolgt), war sicher nicht typisch für das, was sie sah; ein Unikum eben.
Immerhin stimmte die Richtung .
    Kaum einer der Wagen, die sie sah, schien vor weniger als sieben
oder acht Jahren gebaut worden zu sein. Es gab ein paar Ausnahmen: Nicht einmal
weit entfernt parkte ein silbernes BMW -Cabriolet,
und direkt am Anfang des Parkplatzes, weit genug von den anderen Wagen
entfernt, um nicht ganz aus Versehen mit dem Schlamm bespritzt zu werden, in
dem ihr eigener klappriger Celica allmählich zu
versinken schien, ein offensichtlich nagelneuer Hummer .
Die meisten Wagen hier waren alt, nicht besonders gut gepflegt, und vor allem billig. Conny hatte nichts gegen billige Autos (sie fuhr
selbst eines), aber es war eben eine ganz besondere Art von billig. Sie sah nur
sehr wenige Fahrzeuge, deren Zustand ihre Besitzer als Autofreaks outete; um
nicht zu sagen, so gut wie gar keines. Das, was sie hier sah, waren schlichte Beförderungsmittel.
    Was ihr im Prinzip allerdings eher sympathisch war.
    Sie kam zu dem Schluss, nun wirklich lange genug auf ihrem selbst
ernannten Beobachtungsposten ausgeharrt zu haben, stieg aus und steuerte mit
energischen Schritten den im Vergleich zur Größe des Gebäudes eher winzigen
Eingang an, vor dem ein knappes Dutzend typischer Gothic-Fans (schwarz auf
schwarz, und das Ganze geschickt zur Geltung gebracht mit ein paar schwarzen
Accessoires) herumlungerte und rauchte. Die überraschten Blicke und hochgezogenen
Augenbrauen tapfer ignorierend, versuchte Conny irgendwie an ihnen
vorbeizukommen und dabei zumindest noch ein Mindestmaß an Würde zu wahren; ein
Vorhaben, das aber von ihren hochhackigen Pumps gründlich torpediert wurde, auf
denen sie beständig im Schlamm zu versinken drohte. Welcher Teufel hatte sie
eigentlich geritten, in diesem Aufzug hierherzukommen?
    Conny formulierte ihre eigene Frage in Gedanken um, als sie
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