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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatte. Doch dafür brauchte sie einen klaren
Kopf. Wie schon so oft zuvor verscheuchte sie die Erinnerung an das übel
zugerichtete Mädchen aus ihren Gedanken und den Hass und den Abscheu, den sie
tief in sich empfand.
    Â»Ich könnte mir vorstellen, dass Sie ein bisschen Hilfe gebrauchen
könnten«, setzte er nach.
    Jetzt war sie wirklich beunruhigt, wenn auch aus einem anderen
Grund, als er vermutlich ahnte. Es ging nicht nur um Lea, sondern auch um all
die anderen Opfer des Wahnsinnigen. Das Allerletzte, was sie bei der Jagd nach
ihm brauchte, war ein begeisterter Amateur, der fest davon überzeugt war,
unendlich viel schlauer zu sein als sie und alle ihre Kollegen.
    Â»Erweisen Sie mir den Gefallen, sich zuerst einige Augenblicke mit
mir zu unterhalten, bevor ich diese Frage beantworte?«
    Eigentlich sollte sie jetzt erst recht ärgerlich werden, doch das
genaue Gegenteil war der Fall: Sie versuchte sich sogar dagegen zu wehren, aber
dieser Bursche hatte einfach ihr Interesse geweckt. Allein dieser Satz: Erweisen Sie mir den Gefallen. Er sprach nicht nur
altmodisch, irgendwie … war er es, angefangen von
seiner Kleidung über seine gestelzte Art zu sprechen bis hin zu seinem ganzen
Habitus, der lächerlich hätte wirken können, es aber nicht tat.
    Wie man es von jemandem erwarten kann, der einen
Ort wie diesen als Treffpunkt vorschlägt, meldete sich der logische Teil
ihres Verstandes zu Wort. Er war weiß Gott nicht der einzige, der hier in
Klamotten aus dem neunzehnten Jahrhundert herumlief.
    Allerdings war er vielleicht der Einzige, der darin überzeugend
wirkte. Wenn er eine Rolle spielte, dann perfekt.
    Â»Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?«, fragte sie.
    Â»Oh, wie unhöflich von mir.« Der Ausdruck von Betroffenheit, der über
sein schmales Gesicht huschte, wirkte so echt und überzeugend wie alles andere.
»Ich habe es ganz versäumt, mich vorzustellen. Das ist unverzeihlich. Bitte
halten Sie es dem Umstand zugute, dass mich die Gegenwart einer so charmanten
und schönen Frau meine guten Manieren vergessen ließ.« Er deutete eine knappe
Verbeugung an, ohne dass der Blick seiner dunklen Augen ihr Gesicht dabei
losließ. »Mein Name ist Vladimir. Aber meine Freunde nennen mich Vlad.«
    Â»Mir ist nicht nach Schmeicheleien«, sagte Conny kalt … was zugleich
stimmte und auch nicht. Allmählich begann sie sich wirklich über den Kerl zu
ärgern, der entweder verrückt war oder versuchte, sich über sie lustig zu
machen, oder beides. Dennoch schmeichelten ihr seine Worte, und darüber ärgerte
sie sich fast noch mehr.
    Â»Und mir ist auch nicht nach albernen Spielchen«, fügte sie noch
schärfer hinzu.
    Â»Spielchen?«
    Â»Vlad, wie? Und gleich werden Sie behaupten, Ihr Nachname wäre
Tepes. Oder soll ich Sie gleich Graf Dracula nennen?«
    Vlad lächelte dünn. »Sie sind eine gebildete Frau, wie ich sehe.
Trotzdem erliegen Sie demselben weit verbreiteten Irrtum wie die meisten.«
    Â»Dem Irrtum, dass ich mit meiner Zeit etwas Besseres anfangen
könnte, als sie mit diesem Unsinn zu vertrödeln?«
    Â»Dracula – und ganz genau Dracul – war
nicht der Name des legendären Vlad Tepes, sondern sein Titel«, fuhr Vlad
ungerührt fort. »Es heißt nichts anderes als Drache. Er war ein Ritter des
berüchtigten Drachenordens.«
    Â»Wie interessant«, sagte Conny scharf. »Und ich nehme an, Sie sind
ein direkter Nachkomme … oder sind Sie es sogar selbst. Er ist ja unsterblich,
wenn ich mich richtig erinnere.«
    Â»Eine interessante Theorie«, lächelte Vlad. »Und ein großes
Kompliment, vor allem aus dem Mund einer so charmanten Frau.«
    Â»Das reicht jetzt.« Conny machte Anstalten, aufzustehen. »Ich habe
wirklich Besseres mit meiner Zeit zu tun, als sie mit diesem Unsinn …«
    Â»Aber ich bin doch schon fertig, meine Liebe«, fiel ihr Vlad ins
Wort.
    Conny hielt inne. Ihre Augen wurden schmal. »Womit?«
    Â»Ich wollte mir einen Eindruck von Ihnen verschaffen, und das habe
ich«, antwortete er. »Ich glaube, dass wir uns einig werden.«
    Â»Einig? Worüber?« Widerwillig ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl
sinken. Sie hatte tatsächlich Besseres zu tun, als ihre Zeit mit diesem Irren
zu verschwenden – aber auf ein paar Minuten mehr oder weniger kam es nun auch
nicht mehr an. Und wenn gar nichts
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