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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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übermannen drohten und es wahrscheinlich längst getan
hätten, wären sie nicht so vollkommen gegensätzlicher Natur gewesen.
    Â»Weil es auch uns geben muss.« Er lachte leise. »Jemand muss
schließlich für die Ordnung der Dinge sorgen.«
    Â»Und ich dachte, das wäre meine Aufgabe, und die meiner Kollegen«,
antwortete Conny. Sie kam sich selbst lächerlich dabei vor.
    Â»Ihr beschützt euresgleichen vor euresgleichen. Aber wer beschützt
euch vor uns?« Er schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab, als sie auffahren
wollte. »Ich bin nicht hier, um mich zu rechtfertigen. Was geschehen ist, ist
geschehen, ob es nun richtig war oder falsch.«
    Â»Aisler war …«, sie zögerte, dann brachte sie es doch über sich, und
das Wort ging ihr glatter von den Lippen, als sie es erwartet hätte, und er
kommentierte es mit einem flüchtigen, wenn auch sehr warmen Lächeln, »…  dein Werk, nicht wahr?«
    Â»Mein Fehler.« Er klang traurig, aber nicht sehr. »Nicht mein
erster, vielleicht jedoch mein größter. Ich war auf der Suche nach einem
Nachfolger. Wie sich gezeigt hat, war meine Wahl falsch. Aisler war ein
Versager.«
    Â»Also hast du mich auf ihn angesetzt, um deinen Fehler
wiedergutzumachen.«
    Â»Um dich zu bewähren.«
    Â»Das heißt, man kann euch töten.«
    Trausch – Vlad, und vielleicht war sein Name auch Legion – blickte
wieder einen Moment lang auf die Waffe in ihrer rechten Hand hinab. Es gelang
ihr nicht, in seinem Gesicht zu lesen. »Ja«, gestand er schließlich. »Aber
nicht auf diese Weise. Du wirst es lernen.«
    Â»Und wenn ich das gar nicht will?« Ihre Stimme bebte jetzt so stark,
dass es sich anhörte, als kämpfe sie mit aller Macht gegen die Tränen. Aber in
ihrem Inneren war … nichts. Nur Leere. Eine schreckliche, verschlingende Leere,
und darunter das allmähliche Erwachen von etwas Uraltem, unendlich Starkem und
Wissendem.
    Â»Ich fürchte, diese Wahl bleibt dir nicht«, antwortete er
mitfühlend. »Ich habe dich nicht zu dem gemacht, was du bist, Conny. Ich habe
dich nur gefunden.«
    Sie wollte ihn hassen für diese Worte. Aber sie konnte es nicht. Das
Vakuum in ihr begann sich ganz allmählich zu füllen, mit etwas, das ihr neu und
doch vom ersten Tag ihrer Existenz an vorhanden gewesen war. So vieles ergab
plötzlich einen Sinn. Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, brachte jedoch keinen
Ton heraus, und plötzlich trat er auf sie zu, schloss sie in die Arme, und ihre
Lippen berührten sich, warm und verlockend und unendlich süß, auf eine Art, die
nur wenigen Menschen seit Anbeginn der Zeit vergönnt gewesen war.
    Als sie die Augen wieder öffnete, war er wieder zu Vlad geworden.
    Â»Es ist Zeit«, verkündete er. Mehr nicht. Kein Wort des Abschieds,
kein weiteres Lächeln, keine weitere zärtliche Berührung. Er entließ sie
einfach aus seiner Umarmung, wandte sich um und ging mit langsamen Schritten an
ihr vorbei. Conny wollte etwas sagen, ihn zurückrufen, ihn anflehen, zu
bleiben, und gleichzeitig verfluchen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, und
sie brachte keinen Ton heraus.
    Bevor er die Tür erreichte, blieb er noch einmal stehen und sah zu
ihr zurück. Noch ein letztes Mal wurde sein Gesicht zu dem Trauschs, und sie
erblickte jenes sanfte, verführerische Lächeln darauf, gegen das sie vom ersten
Moment an so wehrlos gewesen war. »Gefällt dir dieses Haus?«, fragte er.
    Conny schüttelte verwirrt den Kopf, antwortete aber zugleich und
ehrlich: »Ja.«
    Â»Jemand wird sich bei dir melden«, sagte er. »Ein Notar. Es ist
alles geregelt.«
    Â»Aber …«
    Â»Denk daran, auch wir brauchen ein Heim, Conny«, unterbrach er sie.
Sein Gesicht veränderte sich zu einem, das sie noch nie zuvor gesehen hatte und
das ihr trotzdem auf eine seltsame Art vertraut vorkam. Plötzlich wusste sie,
dass sie ihn immer erkennen würde, ganz gleich, in welcher Verkleidung er ihr
auch gegenübertrat und in welcher Gestalt. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches.
»Einen Platz, an den wir gehören und an dem wir unsere Erinnerungen aufbewahren
können.«
    Und damit ging er endgültig, langsam und ohne die Tür zu öffnen,
gemessenen Schrittes und ohne sich auch nur noch ein einziges weiteres Mal zu
ihr umzublicken. Conny sah ihm nach, bis er in den Schatten
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