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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Autoren: Malaxis
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Malaxis
MONTGLANE Frühjahr 1790
    Eine Gruppe Nonnen überquerte die Straße. Die gestärkten Hauben auf ihren Köpfen hoben und senkten sich wie die Flügel großer Meeresvögel. Als die Ordensfrauen durch das hohe, steinerne Stadttor segelten, stoben Hühner und Gänse aufgeregt flatternd und gackernd durch schlammige Pfützen davon. Die Nonnen liefen durch den dichten Dunst, der wie jeden Morgen über dem Tal lag, und stiegen zu zweit nebeneinander dem Klang der Glocke entgegen, die über ihnen ihren Ruf erschallen ließ.
    Man nannte diesen Frühling Le printemps sanglant, den blutigen Frühling. Die Kirschbäume hatten sehr früh geblüht, noch ehe der Schnee auf den Bergen geschmolzen war. Die dünnen Äste senkten sich unter der Last der nassen roten Blüten der Erde entgegen. Einige hielten die frühe Blüte für ein gutes Omen, für ein Symbol der Wiedergeburt nach dem langen und grausamen Winter. Aber dann kam der kalte Regen, die Blüten erstarrten an den Zweigen und waren von schmutzigbraunen Frostadern durchzogen, als seien es blutverkrustete Wunden. Auch darin sah man ein Zeichen des Himmels.
    Das Kloster von Montglane stand hoch über dem Tal an der Bergflanke und wirkte wie ein gewaltiger Felsvorsprung. Beinahe tausend Jahre hatte die Welt draußen den einer Festung ähnlichen Bau vergessen und ihn unberührt gelassen. Die Mauern des Klosters türmten sich in sechs oder sieben Schichten übereinander. Wenn die ursprünglichen Steine im Verlauf der Jahrhunderte verwitterten, errichtete man vor den alten neue Mauern mit Stützpfeilern. So wurde aus dem Kloster ein abweisendes, drohendes Bollwerk, das den Gerüchten und Geschichten Nahrung bot, die man im ganzen Land erzählte.
    Das Kloster von Montglane war das älteste noch benutzte kirchliche Monument in Frankreich. Ein uralter Fluch drohte jedem, der sich dem Kloster in feindlicher Absicht näherte. Aber die Zeit war reif, und das unheilvolle Schicksal sollte bald in Erfüllung gehen.
    Als die Glocke ihren tiefen, vollen Ton über dem Tal erklingen ließ, unterbrachen auch die Nonnen auf den Feldern die Arbeit. Eine nach der anderen stellte Rechen und Hacke beiseite und lief durch die langen, geraden Reihen der Kirschbäume. Sie eilten in einem langen Zug den steilen Weg zum Kloster hinauf. Am Ende der Prozession folgten Arm in Arm und mit schmutzigen Stiefeln Valentine und Mireille, zwei junge Novizinnen. Sie boten ein merkwürdiges Bild im Gegensatz zu den sittsamen Nonnen. Die große, rothaarige Mireille wirkte mit ihren langen Beinen und den breiten Schultern eher wie ein pausbäckiges Bauernmädchen als eine Nonne. Sie trug über dem Habit eine weite, dicke Kittelschürze; unter der Haube wagten sich ein paar rote Löckchen hervor. Valentine an ihrer Seite schien dagegen schmächtig, obwohl sie beinahe so groß wie Mireille war. Sie hatte eine zarte, helle Haut; die dichten weißblonden Haare, die ihr über die Schultern fielen, betonten die Durchsichtigkeit noch. Valentine hatte die Haube in die Tasche ihres Habits gesteckt. Sie ging unwillig neben Mireille her und trat mit den Stiefelspitzen mißmutig gegen Erdbrocken.
    Die beiden jungen Frauen waren die jüngsten Novizinnen des Klosters und Cousinen mütterlicherseits. Schon im Kindesalter hatte eine schwere Seuche, die damals ganz Frankreich heimsuchte, die Mädchen zu Waisen gemacht. Valentines Großvater, der alte Graf von Rémy, hatte die elternlosen Kinder der Kirche übergeben und ihnen bei seinem Tod eine beachtliche Summe aus seinem Vermögen hinterlassen.
    Das gemeinsame Aufwachsen im Kloster machte Mireille und Valentine zu unzertrennlichen Freundinnen; ihre überschäumende jugendliche Fröhlichkeit war inzwischen kaum noch zu bändigen. Die Äbtissin hörte oft Klagen der älteren Nonnen, daß dieses ungestüme Verhalten dem klösterlichen Leben abträglich sei. Aber die Äbtissin hielt es für besser, den jugendlichen Geist zu zügeln, als ihn zu unterdrücken.
    Abgesehen von solchen Erwägungen hatte die Äbtissin die beiden verwaisten Mädchen ins Herz geschlossen, und das sah ihrer Persönlichkeit und ihrem Rang überhaupt nicht ähnlich. Die älteren Nonnen wären erstaunt gewesen, hätten sie gewußt, daß ihre Äbtissin in früher Kindheit eine ähnlich lebensfrohe Busenfreundin gehabt hatte, von der sie inzwischen viele Jahre und viele Tagesreisen trennten.
    Der Pfad führte steil nach oben. Mireille schob die unbändigen Locken unter die Haube, zog ihre Cousine am Arm
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