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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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denn das Sonnenlicht war trotz der dicken getönten Gläser noch
immer unerträglich grell. »Nein. Das hier wird eine Weile dauern. Trotzdem,
danke.«
    Der Mann zögerte noch einmal, und sie konnte seinen zweifelnden
Gesichtsausdruck regelrecht spüren – man sah dem Haus an, dass es unbewohnt war –, doch dann hob er nur die Schultern, ließ die Scheibe hochgleiten und fuhr
los. Conny wartete, bis das Motorengeräusch am Ende der Straße verklang, bevor
sie das Tor öffnete und langsam durch den verwilderten Vorgarten ging. Der
Anblick hatte sie mehr als überrascht. Es war noch nicht einmal vier Wochen
her, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Inzwischen hatte sich die Natur
das kleine Stückchen Land bereits mit solchem Ungestüm zurückerobert, als wäre
ein Jahrzehnt vergangen.
    Aber vielleicht hatte es hier ja auch schon immer so ausgesehen.
Trausch, der nach Feierabend in einer grünen Schürze und mit Gärtnerhut und
Schere bewaffnet in seinem Vorgarten arbeitete (am besten noch von einer Abteilung
Gartenzwerge flankiert), das war ein Bild, das irgendwie nicht passen wollte.
Nicht einmal zu dem Trausch, den sie kennengelernt
hatte.
    Der Gedanke an ihn stimmte sie traurig, wie stets, wenn sie an ihn
dachte. Doch statt sich in Erinnerungen zu verlieren, ging sie mit gesenktem
Blick und weiter zu engen Schlitzen zusammengekniffenen Augen weiter und grub
in der Handtasche nach dem Schlüsselbund, den sie vor einer Stunde in ihrem
Briefkasten gefunden hatte. Er bestand aus einem Dutzend unterschiedlich großer
(und ausnahmslos alter) Schlüssel, und natürlich musste sie sie alle probieren,
bis der letzte schließlich passte. Die Tür schwang mit einem Quietschen auf,
das ihr ein flüchtiges Lächeln entlockte: Ein Geräusch wie aus einem alten
Richard-Price-Film, wie sie es sich passender zu diesem Spukhaus kaum hätte
ausdenken können. Aber es war ein schmerzerfülltes Lächeln, und es erlosch
wieder, bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie versuchte sich zu
erinnern, wo der Lichtschalter war, was ihr allerdings nicht gelang – und es
war auch nicht nötig. Nachdem sie die Sonnenbrille abgenommen hatte, fügte sich
das Durcheinander von Schatten und formlosen Schemen zu einem Bild in sanften
Sepia-Tönen, das ihren gemarterten Augen schmeichelte. Nachdenklich drehte sie
sich einmal im Kreis und sah sich in dem großen, sehr stillen Haus um.
    Es war ein seltsames Gefühl, hierher zurückzukommen; unangenehm und
auf eine Art nostalgisch, als wäre es Jahre her, dass sie das letzte Mal hier
gewesen war, und nicht nur vier Wochen. Aber es lag ja auch ein ganzes Leben
zurück …
    Natürlich war es doch nicht so einfach gewesen, wie Eichholz es sich
vorgestellt hatte; nicht einmal so einfach, wie sie selbst sich
einzureden versucht hatte. Sie wusste nicht genau, wie (sie hatte nicht danach
gefragt, und Eichholz hatte von sich aus nichts gesagt), doch irgendwie war es
ihm gelungen, sie aus der Schusslinie zu nehmen, und
wie es aussah, auch seinen Enkel und sich selbst. Er war nicht ganz unbeschadet
davongekommen. Seine letzte Beförderung war unwiderruflich die letzte seines
Lebens gewesen, und man munkelte, dass er in absehbarer Zeit in den
vorgezogenen Ruhestand versetzt werden würde. Allerdings hatte niemand allzu
neugierige Fragen gestellt (wenigstens nicht laut) und Conny mutmaßte, dass
niemand die Antworten, die sich vielleicht ergeben hätten, wirklich hören
wollte.
    Auch Vlad hatte sie seit jenem Tag nicht mehr wiedergesehen.
Seltsamerweise bedauerte ein Teil von ihr das. Aber ein anderer war mehr als
erleichtert.
    Damit hätte es vorbei sein können, und bis zum heutigen Morgen hatte
sie das auch geglaubt. Ihr Leben hatte sich ganz allmählich wieder normalisiert,
sie hatte ihren Dienst wieder angetreten, und selbst die Presse hatte nach
einer Weile endlich das Interesse an ihr verloren und sie mittlerweile
endgültig vergessen. Inzwischen war Conny sogar (fast) davon überzeugt, dass
alles nur wenig mehr als eine Mischung aus einem Albtraum, Zufall und purem
Glück gewesen war. Der gedankenlose Scherz, den sie sich dem jungen Arzt
gegenüber erlaubt hatte, war gründlich nach hinten losgegangen: Sie hatte den
Albtraum im Trash äußerlich tatsächlich so gut wie
unversehrt überstanden, doch es hatte allein zwei Tage gedauert, bis sie sich
auch nur
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