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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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die
Raucherfraktion passiert hatte und den ungefähr drei Meter großen Muskelprotz ansteuerte,
der mit verschränkten Armen vor der Tür stand und darauf wartete, dass
jedermann seine entblößten Ober- und Unterarmmuskeln bewunderte. Welcher Teufel
hatte sie eigentlich geritten, überhaupt hierherzukommen?
    Ihre wildesten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, als sie
dem missbilligenden Stirnrunzeln des Fleischbergs begegnete. Sie war weder
passend für diesen Anlass gekleidet, noch hatte sie das passende Alter … aber
gut, wenn er ihr krummkam, hatte sie immerhin den passenden Dienstausweis, der
ihn aus dem Weg scheuchen würde.
    Hoffentlich.
    Dann wurde ihr klar, dass sein grimmiger Blick weder ihrem
bordeauxroten Kostüm noch den zwanzig Jahren zu viel galt, die sie auf dem
Buckel trug, sondern der brennenden Zigarette in ihrer Hand. Sie nahm noch
einen abschließenden tiefen Zug, schnippte den Rest in hohem Bogen davon und
wurde mit einem zufriedenen Grinsen und einem mittleren Erdbeben belohnt, als
sich der Koloss zur Seite schob und den Weg freigab.
    Allerdings entblödete er sich nicht, ihr die Tür aufzuhalten; auf
eine Art, die sie das Wort Muttchen beinahe hören
ließ.
    Sie wusste selbst nicht genau, was sie erwartet hatte –
dröhnende Musik, vibrierende Fußböden, verräucherte Luft und blitzendes
Laserlicht – aber sie gelangte zunächst lediglich in einen schmalen Gang, der
von einem schweren Vorhang begrenzt wurde. Zur Linken gab es etwas, das sie an
einen vergitterten Bankschalter aus dem vorvorletzten Jahrhundert erinnerte.
Eine misstrauisch dreinschauende junge Frau reichte ihr eine kleine Pappkarte,
mit der sie nicht wirklich etwas anzufangen wusste, und forderte sie mit einer
so ruppigen Kopfbewegung zum Weitergehen auf, dass sie ganz instinktiv
gehorchte.
    Hinter dem Vorhang wurde die Musik lauter – Rammstein, Oomph!,
irgendetwas in dieser Richtung –, wenn auch nicht annähernd so laut, wie sie
befürchtet hatte. Trotzdem – und obwohl sie ein paar Fotos gesehen hatte und
eigentlich wissen sollte, was sie erwartete – blieb sie einen Moment stehen und
sah sich staunend um. Der Raum war riesig und konnte allein aufgrund seiner
Größe und der hohen Decke seine ursprüngliche Bestimmung nicht leugnen,
brodelte aber jetzt vor Leben, wie es in seiner Zeit als Maschinenhalle
vermutlich niemals der Fall gewesen war. Conny versuchte erst gar nicht zu
schätzen, wie viele Gäste sich augenblicklich hier drinnen aufhalten mochten.
Vielleicht hundert, vielleicht auch drei- oder vierhundert, oder noch mehr.
Jeder Versuch, sie zu zählen, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt
gewesen. Die vorherrschende Farbe war Schwarz (was sich nicht nur auf die
Kleidung der Gäste beschränkte), und es gab nur einige wenige Ausnahmen: hier
und da ein weißes Hemd oder ein totenbleich geschminktes Gesicht, ein Tupfer
von Rot oder Violett, aber im Grunde war alles schwarz. Selbst das Licht.
    Zumindest das kam ihr allerdings zugute, als sie die lang gestreckte
Theke auf der anderen Seite des Raumes ansteuerte. Das im Rhythmus der Musik
flackernde Schwarzlicht löschte die unpassende Farbe ihres Kostüms aus und ließ
es weit dunkler als zuvor erscheinen … was natürlich nichts daran änderte, dass
sie die erstaunten und zum Teil abfälligen Blicke fast körperlich spüren
konnte, die ihr auf dem Weg quer über die nur spärlich frequentierte Tanzfläche
folgten. Sie gehörte nicht hierher, das spürte sie deutlich.
    Aber war sie etwa freiwillig hier?
    Genau genommen ja, gestand sie sich widerwillig ein. Ganz genau genommen war sie sogar hier, obwohl ihr sehr
deutlich gesagt worden war, dass sie nicht hierherkommen sollte …
    Sie verscheuchte den Gedanken, drängelte sich zur Theke durch und
bestellte eine Cola, wozu sie sich anstrengen musste, um die Musik zu
überbrüllen, die auf dieser Seite der Halle sonderbarerweise viel lauter zu
sein schien. Als sie in ihrer Handtasche nach Kleingeld kramte, schüttelte die
Bedienung heftig den Kopf und begann noch heftiger zu gestikulieren. Conny sah
sie verständnislos an.
    Â»Sie müssen ihre Karte abgeben«, sagte eine Stimme hinter ihr.
    Conny drehte sich um und blickte mindestens genauso verständnislos
in ein Gesicht, das (allerhöchstens) halb so alt war wie ihr eigenes, aber so
bleich, als
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