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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wäre sein Besitzer seit mindestens der doppelten Anzahl von Jahren
tot. »Wie?«
    Der Junge (sie nahm zumindest an, dass es einer war) begann
ebenfalls heftig zu gestikulieren. Er musste schreien, um die Musik zu
übertönen, was ihn noch deutlich jünger erschienen ließ, als er vermutlich war.
    Â»Ihre Karte! Haben Sie keine bekommen, am Eingang?« Als Conny ihn
nur weiter verwirrt ansah, zog er seine eigene bedruckte Pappe aus der
Hemdtasche und hielt sie der Bedienung hin. Sie stempelte sie mit einer
verärgert wirkenden Geste ab, und endlich durfte Conny auch ihre mit einer
Unmenge von Eis verpanschte Cola an sich nehmen, während der Junge seine Karte
wieder verschwinden ließ.
    Â»Man zahlt hier, wenn man rausgeht!«, erklärte er, immer noch
beinahe schreiend. »Bist du das erste Mal hier?«
    Conny nickte zwar ganz automatisch, aber sie konnte nur hoffen, dass
ihre Gesichtszüge nicht allzu sehr entgleisten. Hoffentlich war dieses Bübchen
nicht der, der sie herbestellt hatte. Wenn doch, dann … nun ja, dann hätte sie
wenigstens das Gelächter des gesamten Kommissariats auf ihrer Seite.
    Â»Setzen wir uns?«, brüllte Junior. »Im Nebenraum ist es ein bisschen
leiser. Da können wir reden!«
    Reden? , dachte Conny verwirrt. Mit dir? Worüber wohl? Aber sie nickte nur und bedeutete
ihm mit einer entsprechenden Kopfbewegung, vorauszugehen.
    Im Nebenraum war es tatsächlich leiser, allerdings nicht viel, doch
dafür herrschte ein Gedränge, bei dessen bloßem Anblick sie Atemnot bekam.
Vielleicht zwei oder drei Dutzend Zuschauer hatten sich um eine kleine Bühne
versammelt, auf der irgendetwas dargeboten wurde, das mit mittelalterlichen
Kostümen und Schwertern zu tun hatte und ziemlich unästhetisch aussah. Sie sah
einen Moment hin, deutete dann ein Kopfschütteln an und kehrte in den großen
Raum zurück. Ihr jugendlicher Charmeur wirkte ein bisschen enttäuscht, wie ein
Kind, das sein neues Spielzeug vorführt und nicht den erhofften Applaus
bekommen hat, aber natürlich gab er nicht auf, sondern stellte sich im
Gegenteil auf die Zehenspitzen und deutete dann zum anderen Ende des Raumes.
Vielleicht hatte er einen freien Platz entdeckt. Conny folgte ihm, auch wenn
sie inzwischen ziemlich sicher war, dass die E -Mail
nicht von ihm stammte.
    Tatsächlich gelangten sie nicht nur zu einem freien Platz, sondern
gleich an einen komplett freien Tisch. Die Diskothek war zwar gut besucht, aber
der Großteil der Gäste hielt sich auf der anderen Seite der ehemaligen
Maschinenhalle auf, wo die Musik lauter war, oder folgte der
Schwerter-Pantomime im angrenzenden Raum. Auf einer kleinen Empore, nicht
einmal weit entfernt, saß ein langhaariger Bursche vor einem kleinen Pult und
las aus einem (natürlich schwarz) eingeschlagenen Buch vor, wobei er allerdings
alle Mühe zu haben schien, die dröhnende Musik zu überbrüllen. Hätte man dem
armen Kerl ein Mikrofon gegeben, wäre es vielleicht einfacher gewesen.
    Â»Zum ersten Mal hier?«, schrie ihr weißgesichtiger Begleiter. Er
hatte seine Lautstärke noch dem Lärmpegel auf der anderen Seite der Tanzfläche
angepasst und wirkte selbst fast ein bisschen erschrocken. Als er weitersprach,
senkte er die Stimme ein wenig. »Ich meine: Gefällt es dir?«
    Â»Schon«, antwortete Conny und nippte an ihrer Cola. Sie war
hoffnungslos verwässert und so kalt, dass sie an den Zähnen schmerzte. »Es ist … interessant.«
    Das schien nicht unbedingt die Antwort zu sein, die er hatte hören
wollen. Er machte auch keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, aber was hatte er
erwartet?, dachte sie spöttisch. Dass sie sich mit ihren fast zweiundvierzig
Jahren die Kleider vom Leib riss, sich das Gesicht weiß anmalte und ein
Stachelhalsband anzog?
    Selbstverständlich ließ er sich auch nicht davon entmutigen. Nachdem
sie sein Gesicht unter all der weißen Schminke etwas genauer studiert hatte,
korrigierte sie ihre Schätzung noch einmal ein gutes Stück nach oben. Sie war
mindestens fünf undzwanzig Jahre älter als er. Sie
hätte seine Mutter sein können. Aber er schien wild entschlossen, sie im Sturm
zu erobern.
    Â»Was ist das hier?«, fragte sie. »Ich meine: Ist hier immer so viel
los?«
    Â»Besuchermäßig ja«, antwortete er. »Wenn du die Vorführungen meinst,
nein. Heute ist das
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