Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
winziger
Rest der Conny, die sie einmal gewesen war und nie wieder sein würde, und der
sie noch einmal zur Vernunft brachte. Sie versetzte dem am Boden liegenden
einen Tritt, hart genug, um einen wimmernden Schmerzenslaut auf seine Lippen zu
zwingen, aber sie brachte ihn nicht um, sondern riss ihn wieder auf die Füße
und warf ihn gegen die Wand. Der Junge erschlaffte. Nicht einmal die
aufpeitschende Chemie in seinen Adern vermochte den Schmerz und die Schwäche zu
besiegen, die sie plötzlich in ihm spürte. Conny nahm den Teil dieser Gefühle,
der ihr nützlich erschien, dankbar an, fügte ihn ihrer eigenen, düsteren Kraft
hinzu und grub die Finger ihrer freien Hand in seine Haare, um seinen Kopf in
den Nacken zu zwingen. In der Dunkelheit war nichts weiter zu sehen als das
blanke Entsetzen, das sich in seinen Augen spiegelte.
    Da waren plötzlich andere Geräusche in dem kreischenden Nebel, der
sie einhüllte, und irgendwo hinter ihr flammte Licht auf, zerrissen die
Strahlen starker Stablampen die erstickende Finsternis. Schritte, aufgeregte
Stimmen und Lärm. Die Verstärkung, auf die sie gewartet hatte, war da; zu spät,
um sie zu retten, wäre Conny noch die Frau gewesen, für die sie sie hielten,
aber vielleicht noch rechtzeitig genug, um zu verhindern, dass sie endgültig zu
dem wurde, was sie tief in sich spürte.
    Â»Ich bin hier!«, versuchte sie die
kreischende Musik zu überbrüllen.
    Â»Ich weiß«, sagte eine Stimme direkt hinter ihr.
    Nicht einmal mehr ihre übermenschlich schnellen Reaktionen reichten
aus. Etwas knallte. Ein sonderbar heller, lächerlich dünner Laut in dem Chaos,
das sie umgab, wie das Geräusch einer Spielzeugpistole. Ein dumpfer Schlag traf
ihre Schulter, riss sie herum und schleuderte sie unmittelbar neben dem
falschen Aisler gegen die Wand. Der Schmerz, auf den sie wartete, kam nicht,
wohl aber eine lautlose Woge der Lähmung. Ihre übermenschliche Kraft war noch
da, doch sie konnte sich ihrer plötzlich nicht mehr bedienen, sondern brach
hilflos in die Knie und sackte an der Wand entlang zu Boden. Ihr Blick begann
sich zu verschleiern. Schwäche schwappte wie Wasser in einem zu hastig
getragenen Aquarium immer schneller in ihr hin und her und drohte sie endgültig
niederzureißen, und inmitten der wogenden roten Schleier vor ihren Augen
erschien eine kleine, in schwarzes Leder gehüllte Gestalt mit einem
totenbleichen, blutigen Gesicht und einer fast noch lächerlicher wirkenden
Pistole, die sie mit beiden Händen hielt und die auf ihre Stirn zielte. Conny
sollte Angst haben, doch seltsamerweise gelang es ihr nicht einmal, sich zu
diesem Gefühl aufzuraffen.
    Der Typ, der sie angriffen hatte, war nicht ein mit Drogen bis zum
Stehkragen vollgepumpter Mike gewesen, denn dann hätte der Junge wohl kaum drei
Schritte entfernt vor ihr stehen und mit der Pistole auf sie zielen können. Was
aber viel mehr wog als diese Erkenntnis: Jetzt hatte Mike die Gelegenheit, das
Magazin ihrer eigenen Dienstwaffe auf sie zu entleeren, ohne das ein Schuss
danebenging. Was nichts an der – völlig absurden – Gewissheit in ihr änderte,
dass er sie auf diese Art nicht töten konnte .
    Anscheinend hatte er das auch nicht vor, denn er trat zwar noch einen
weiteren Schritt auf sie zu, und die Pistole in seinen schmalen Händen zitterte
so stark, dass sie ernsthaft damit rechnete, er würde den Abzug ganz aus
Versehen drücken, doch statt ihr eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, machte
er plötzlich eine Bewegung zur Seite, hielt die Waffe nun nur noch mit einer
Hand und versuchte mit der anderen, seinem Meister auf die Beine zu helfen.
Hinter ihm näherten sich Schritte.
    Mike zog seinen angeblichen Meister mit der freien Hand und
erstaunlicher Kraft in die Höhe. Alles geschah langsam, wie in bizarrer slow motion , und Conny wurde auf eine sonderbar
emotionslose Art klar, dass ihre Kollegen zu spät kommen würden, ganz egal, wie
sehr sie sich auch beeilten. Dieser Teil der Wirklichkeit existierte in seiner
eigenen Zeit, die andauern würde, bis es vollbracht war. Es war von Anfang an
ihr Kampf gewesen, ein Duell zwischen dem Ungeheuer, das seine Opfer so brutal
abgeschlachtet hatte, und ihr, das hier begonnen hatte und hier enden musste;
nicht ein Kampf zwischen ihr und diesem Wahnsinnigen, der Aislers Gesicht
gestohlen und sich eingeredet hatte, sich an seiner Stelle an ihr zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher