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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mehr Blut floss
aus drei tiefen, gezackten Schnittwunden unter ihrer zerfetzten Jeans, und
bevor er sich wieder in den kreischenden Nebel zurückzog, trat Aisler ihr noch
so hart in die Seite, dass sie ihre Rippen brechen hörte.
    Conny krümmte sich, unterdrückte mit verzweifelter Kraft den
Brechreiz, der in ihrer Kehle aufstieg, und wälzte sich schwerfällig herum, als
er – plötzlich und so schnell, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen – auf
der anderen Seite auftauchte und wieder nach ihr schlug; ein Gespenst, das
keinen eigenen Körper hatte, sondern einfach Teil des Nebels war und sich an
jeder beliebigen Stelle materialisieren konnte. Sein nächster Hieb riss ihre
linke Schulter auf und rammte sie regelrecht in den Boden, aber er tötete sie
nicht.
    Noch nicht.
    Er spielte mit ihr, begriff Conny. Er hätte sie längst umbringen
können, schon bei seinem ersten oder zweiten Angriff, aber das wollte er nicht.
Er genoss es, dass sie litt, dass sie sich innerlich vor Schmerzen und Angst
wand, an denen er sich laben und seine Kräfte mehren konnte.
    Und es würde ihm gelingen, dachte sie schaudernd. Ihr ganzer Körper
war ein einziger Schmerz. Sie blutete aus einem Dutzend mehr oder weniger
tiefer Wunden, ihre Kräfte ließen mit jedem Augenblick weiter nach.
    Und du wirst sterben, wenn du die Augen noch
länger vor der Wirklichkeit verschließt, wisperte eine Stimme in ihren
Gedanken. Worauf wartest du noch? Dass er endgültig gewinnt?
    Conny war nicht sicher, ob sie die Stimme wirklich hörte oder es nur
eine weitere, böse Halluzination war, mit der ihre durchgeknallte Phantasie das
ihre dazu beitrug, sie fertigzumachen. Alles drehte sich um Conny. Kreischende
Musik und ein stroboskopisches Flackern und Tanzen grellbunt in Stücke
gerissenen Nebels hüllten sie ein, zerhackten die Wirklichkeit in eine rasend
schnelle Abfolge kreischend bunter, sinnloser Einzelbilder, die wie Axtblätter
auf ihre Sinne einschlugen. Irgendwie – taumelnd – kam sie auf die Füße, sah
einen Schatten auf sich zurasen und riss die Arme vor das Gesicht.
    Irgendwo ein reißender Schmerz und noch mehr Blut. Conny taumelte
zurück, prallte gegen die Wand und brach kraftlos in die Knie. Schartiges Eisen
schrammte Funken sprühend an der Wand über ihrem Kopf entlang und überschüttete
sie mit einem Sprühregen aus Kalk und verkohlten bunten Papierfetzen. Aisler
verschwand sofort wieder in den brodelnden Schwaden, versetzte ihr aber noch
einen derben Tritt in die Seite.
    Sie fiel auf Hände und Knie, kämpfte verzweifelt gegen die Ohnmacht,
die ihre Gedanken verschlingen wollte, und spürte, dass sie diesen Kampf zu
verlieren drohte. Etwas … geschah mit ihr. Sie hatte Angst.
    Und das mit Recht, wisperte eine Stimme
hinter ihrer Stirn, die nur Vlads sein konnte und doch ganz anders klang. Und das wirst auch du bald sein. Willst
du das? Willst du, dass er gewonnen hat? Willst du, dass Trausch umsonst
gestorben ist?
    Conny erstarrte. Alle Furcht und jeglicher Schmerz fielen von ihr
ab, und eine sonderbar körperlose Kälte ergriff an ihrer Stelle von ihren
Gedanken Besitz. Was all die Schmerzen und Wunden, die er ihr zugefügt hatte,
nicht gekonnt hatten, das vollbrachte diese einfache Frage. Wollte sie, dass
Trauschs Tod umsonst gewesen war? Nein. Das wollte sie nicht. So durfte es
nicht sein, weil es … ungerecht gewesen wäre. Sie empfand
nicht einmal Zorn bei diesem Gedanken oder gar das Bedürfnis nach irgendetwas
so Banalem wie etwa Rache .
    Eigentlich empfand sie gar nichts. Es war allerhöchstens etwas wie
eine – sehr simple – Rechenaufgabe. Ihre Konten waren nicht ausgeglichen, und sie
hatte nicht vor, sie mit einem so eklatanten Ungleichgewicht zu schließen.
    Als der falsche Aisler das nächste Mal heranstürmte, gelang es ihm
nicht mehr, sie zu überraschen … und wie hätte er das auch gekonnt? Wie hatte er es überhaupt je gekonnt? Jetzt, wo die Furcht und
alle Emotionen erloschen waren, wurde ihr bewusst, wie unglaublich scharf ihre
Sinne mit einem Mal waren: Er hatte keine Chance, sich ungehört zu nähern;
niemand hatte das, nicht einmal inmitten dieses Höllensturms aus tanzendem Lärm
und kreischenden Farben. Sie hörte ihn, nahezu eine volle Sekunde, bevor er
geduckt und lächerlich langsam aus dem Trockeneisnebel auftauchte.
    Ohne die geringste Mühe
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