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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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58...
    Der Großinquisitor stieß nach. «Ihr Alibi ist falsch, das wissen wir inzwischen. Wir wissen aber auch, durch wen und was Ihr Leben zerstört worden ist. Aber Sie können sich jetzt endgültig abnabeln von allem, wenn Sie uns die Wahrheit sagen... Es wird ein Akt der Befreiung werden. Nutzen Sie die Chance!»
    Die Kamera fuhr noch dichter an Sven Viebak heran, und die vielen Millionen an den Bildschirmen sahen, wie immer größere Schweißperlen seine Stirn bedeckten, wie die vielen roten Äderchen das Weiße seiner Augen füllten, wie er um Beherrschung rang und sich die Lippen blutig biß.
    «Das ist das Spannendste, was das deutsche Fernsehen Ihnen bieten kann!» rief der Großinquisitor. «Dank ENTER-EINS! Herzkranke aus dem Zimmer, sonst ist es aus mit euch!»
    Ein schneller Schnitt auf den Zeiger über Sven Viebaks Kopf, das Damoklesschwert.
    59...
    Dann groß die Digitaluhr mit den roten Ziffern, die die Zeit angab, die Sven Viebak bereits auf dem ‹elektrischen Stuhl› ausgeharrt hatte.
    29 : 42...
    Noch 18 Sekunden, dann war er halber Millionär.
    Doch wir wußten es alle, er schaffte es nicht.
    Er öffnete den Mund.
    «Ich...» Sven Viebak schluckte, «... war es...»
    Die Leute im Studio stöhnten, applaudierten, sprangen auf, waren erlöst.
    58, 57, 56... Der Zeiger glitt wieder nach unten.
    «... nicht!» fügte Sven Viebak hinzu und schrie es immer wieder, bis die dreißig Minuten endgültig vorüber waren und der große Gong ertönte. «Ich war es nicht, ich bin kein Mörder!»

45. Szene
Massengräber des Speziallagers Nr. 7
    Ich begriff es nicht. Plötzlich war ich in einem ganz anderen Kino, in einem ganz anderen Film. Eben noch Farce, Groteske, Satire, nun Realismus pur. Der Abschiedsbrief...
    ‹...Wo ist aber Ruhe? Nur dort, wo es keine Erinnerung gibt.› Diesen Satz von Maxim Gorki habe ich zuerst 1946 im Lager gehört, und er hat mich bewogen, sofort nach meiner Flucht in die USA zu gehen, ans andere Ende der Welt. Dies in der Hoffnung, der Erinnerung zu entkommen, der Erinnerung an den Schrecken dieses Lagers, der Erinnerung an den früheren Glanz meiner Familie, der Erinnerung an eine schreckliche Erkenntnis. Alles vergessen, ein neues Leben beginnen... Das war ein Irrtum, und es wird immer ein Irrtum bleiben, es zu versuchen. Rückkehr nach Oranienburg und Friedrichsheide, um nun hier endlich die so ersehnte innere Ruhe zu finden und umgekehrt zu vergessen, was in Amerika so alles gewesen ist – an Tod, Krankheit und Enttäuschungen – bzw. nicht gewesen ist, an Glück und Erfolg. Eine Kette des Scheiterns war alles. Als Fotograf, der durch die Bars gezogen ist, um Paare abzulichten, als Inhaber des Restaurants ‹Alt-Berlin›, als Autohändler, als Immobilienmakler. Zwei Ehen kaputt, ein Kind gestorben. Das ewige Nomadenleben. New York, Norfolk, Savannah, Casper, Rapid City und schließlich Bethlehem, das nachgebaute Erzgebirgsdorf als letzten Versuch, nach über vierzig Jahren doch noch richtig Fuß zu fassen in den Staaten. Eine elende Schmierenkomödie. Dann bist Du gekommen, JO AN, meine letzte große Hoffnung. Und nun hast Du mich auch enttäuscht, bist Du meine letzte große Enttäuschung. ‹Wo ist aber Ruhe? Nur dort, wo es keine Erinnerung gibt.› Und dieses Dort ist einzig und allein das Reich der Toten...
    Soweit sein Brief, der mit einem Reißnagel am Stamme einer großen Kiefer angeheftet worden war.
    Waldemar v. Woerzke selber hing am untersten Ast dieser Kiefer. Wenn der Wind, der von Osten in die Lichtung fiel, den Körper pendeln ließ, berührten seine Füße fast das Grabkreuz, das Luise Tschupsch vor wenigen Wochen in stillem Gedenken aufgesucht hatte. Ihr Rosenstrauß, von der Kälte ziemlich konserviert, lag noch immer da. Von Deiner großen Liebe...

46. Szene
Schloßhotel Friedrichsheide
    Ich ging in der Halle auf und ab und hoffte, Joan Woerzke zu treffen. Es waren ein paar Routinefragen zu stellen. Außerdem... Ich hatte die halbe Nacht nicht schlafen können. Wenn Sven Viebak den wahrhaft unmenschlichen Härtetest bei ENTER-EINS bestanden hatte, schied er als Mörder von Luise Tschupsch wohl absolut aus. Und ließ man den großen Unbekannten draußen vor, so kam damit wieder Wolfram Schweriner ins Spiel. Schön, er hatte sie nicht eliminieren müssen, um zu verhindern, daß sie den falschen Waldemar entlarvte, aber vielleicht Joans wegen...? Hatte er befürchten müssen, daß es zwischen ihr und Woerzke doch noch zum großen Happy-End gekommen
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