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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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Das Date
    Wir saßen an unserem Tisch in einer stillen Ecke der kleinen Pizzeria, wie auf einer sonnigen Insel in einem Meer von Behagen. Die meisten der Gäste waren gegangen. Viktoria rauchte. Der Geruch italienischer Gewürze mischte sich mit dem Duft ihrer Zigarette. Die rundliche Frau des Besitzers brachte uns den Cappuccino und räumte die Teller ab. Ich schaute gedankenlos ihrem davon schaukelnden Hintern nach, bis sie ihn herumschwenkte, um damit die Küchentür aufzustoßen und verschwand.
    Wir kamen oft hierher. Wir mochten diesen stillen Ort. Wir saßen hier, aßen, redeten und spielten mit dem Gedanken uns ineinander zu verlieben.
    Ich nahm eine Zigarette aus der Schachtel, brach den Filter ab und zündete sie an. Dabei blickte ich in Viktorias schönes blasses Gesicht mit den vollen Lippen und der hohen Stirn. Ich suchte ihre Augen. Eine Weile hielt sie meinem Blick stand. Dann senkte sie die Lider. Ihre Hand umklammerte meinen Arm.
    »Ich bin eine blöde Kuh«, erklärte sie plötzlich. »Ich habe mich in Kurt verliebt.«
    Ich war wie vom Donner gerührt. Ich fröstelte. Das konnte nicht wahr sein. Das gab es nicht. Eine finstere Wolke verdunkelte die Sonne über unserer Insel. Ein gefährlicher Sturm aus Befürchtungen verwandelte das Meer aus Behagen in eine tosende See.
    »Wer ist Kurt?«, wollte ich wissen.
    Sie zögerte. Dann klärte sie mich auf.
    »Du kennst ihn. Kurt der Ringer«
    »Wer?« Ich dachte ich hätte mich verhört.
    Viktoria starrte mir unter gesenkter Stirn hervor in die Augen, als wollte sie mich hypnotisieren.
    Da begriff ich. Ich lachte hellauf. Die Wolke über uns gab die Sonne wieder frei. Die Wogen der aufgekommenen Eifersucht glätteten sich. Ich verstand sie. Sie unternahm einen Fluchtversuch.
    Wir hatten vieles gemeinsam. Wir kamen beide aus gescheiterten Beziehungen. Wir scheuten tiefer gehende Gefühle. Wir hatten Angst verletzbar zu werden. Ich war fast froh, dass sie es war, die diesen Fluchtversuch unternahm.
    Es konnte nur ein Fluchtversuch sein, denn dieser Kurt war ein breitschultriger, gewichtiger Kerl, von äußerst schlichter Denkart, den ich im Stillen immer Obelix genannt hatte. Außerdem wusste ich, dass dieser Hinkelsteintyp mit einer wasserstoffblonden vollbusigen Schönheit zusammenlebte und schon deshalb für Viktoria nur zum Träumen geeignet war.
    Dann, während ich mir die Situation klarmachte, geschah etwas Seltsames. Ich sah mich plötzlich an einem anderen Ort, in einer anderen, längst vergangenen Zeit. Eine Art Film lief in mir ab, der mir weit, sehr weit zurückliegende Ereignisse so deutlich vergegenwärtigte, als würde ich sie gerade jetzt, in diesem Augenblick, erleben.
    Ich konnte mir den ganzen Vorgang, dem ich in der Folgezeit ausgesetzt war, später nur so erklären, dass in meiner DNA nicht nur der Bauplan für meinen Körper gespeichert war, sondern auch die Erinnerungen meiner Vorfahren. Diese Erinnerungen hatten sich bisher versteckt, wie eine passwortgeschützte Computerdatei, ein Programm, das ungeöffnet in meinem Gedächtnisspeicher ruhte. Durch irgendeinen Zufall, einen Schock, oder auch nur ein bestimmtes Wort, hatte sich eine der Dateien geöffnet, ein Programm lief ab, ein Vorfahr dominierte mich, nahm mich wie einen Schatten mit in seine Welt, ließ ein Stück seines Lebens zu meinem werden, ohne dabei ganz von mir Besitz zu ergreifen. Für Momente räumte er mir so die Möglichkeit ein, mich neben ihn zu stellen und unsere Situation bewusst zu erleben. Es war als wären unsere Seelen zwei Bildobjekte, die auf einem Monitor nebeneinander standen und fast deckungsgleich übereinander geschoben und wieder getrennt wurden.
    Das ging so weit, dass sich dieser Vorfahr zeitweise völlig mit mir identifizierte. Er scheute sich nicht, Viktoria, die er, wenn er sie direkt ansprach, Yrsig nannte, in unser gemeinsames Sein einzubeziehen.Er fing an seine Geschichte, die auch die meine war, zu erzählen.
    Seine Stimme klang gleichzeitig weich und rau. Sie zog mich in ihren Bann. Sie war mir vertraut. Mir war, als hörte ich mich selbst sprechen.

Die Erinnerung
    Er begann folgendermaßen:
    Es war kurz, nachdem ich Yrsig, wie es die gute Sitte gebot, an den Haaren in meine Höhle auf mein Felllager gezerrt hatte, als dieser Kerl auftauchte. Es war so ein widerlicher langhaariger Hinkelsteintyp, der immer beim Fest des großen Bärentanzes alle anderen zu Boden warf, weil er beim Auslosen den langen Halm gezogen hatte und den unbesiegbaren
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