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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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die Wölfe in meinen Gesang ein. Lange sangen wir so.
    Dann schwieg ich, senkte den Kopf und sprach die Worte des Großen alten Mammuts:
    »Ayaoooomm«, sagte ich, »ayaoooomm.« Immer wieder sprach ich die Worte des Großen alten Mammuts. In meinem Inneren wurde es Nacht. Ich fühlte nichts mehr von der Kälte, die vom gurgelnden Wasser heraufkam und nach meinem Körper griff. Frieden und Stille erfüllten mich.
    Plötzlich stand ein großer Wolf vor mir. Seine Augen glühten und seine aufgerichteten Nackenhaare leuchteten weiß im Licht des Mondes.
    »Was willst du?« fragte ich. Meine Hand tastete nach der Keule. »Hast du Hunger?«
    »Nein«, sagte der große Wolf. »Ich habe keinen Hunger. Das große alte Mammut schickt mich. Es hat deinen Ruf gehört. Es will dich sehen. Ich zeige dir den Weg.«
    Er schüttelte sich und eine Wolke glitzernder Tropfen sprang aus seinem Fell. Er drehte sich um. Er lief zum Fluss. Ich packte meine Keule. Ich ging ihm nach. Er sprang hinein, schwamm ein kurzes Stück. Dann tauchte er unter. Ich watete hinter ihm her ins Dunkel. Ich verlor den Grund unter den Füßen. Das Wasser schlug über meinem Kopf zusammen. Der Fluss nahm mich in seine starken Arme. Er zog mich hinab in die Tiefe. Ich erschrak. Ich fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Aber ich schwamm in der Flut wie ein Fisch, ohne Atem zu holen und ohne zu ersticken. Die Strömung nahm zu. Sie riss mich mit sich fort. Ich stürzte über eine Felskante. In rasender Geschwindigkeit wurde ich hinabgesogen. Tief, ganz tief hinein ins Innere der Erde. Dann stand alles still. Der Fluss spuckte mich aus. Ich hob den Kopf und schleuderte mein Haar aus dem Gesicht. Ich stand in einem kleinen grün schimmernden See, mitten in einer riesigen unterirdischen Höhle. Vor mir kroch der Wolf auf einen Felsen am Ufer. Er sah hager aus. Unter seinem nassen Fell zeichneten sich Muskeln und Knochen ab. Ich arbeitete mich aus dem Wasser und wankte zu ihm.
    »Ist es hier?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte der Wolf, »der Weg ist weit.«
    Er schüttelte sich und lief vor mir auf den Eingang einer anderen Höhle zu. Ich eilte ihm nach. Wir hasteten nebeneinander zwischen den grünlich schimmernden Wänden des Felsenganges voran. Ich atmete gleichmäßig. Mein Herz wurde mir wieder schwer.
    »Wolf«, sagte ich. »Du bist ein weiser Wolf. Sage mir, warum hat Yrsig sich diesem Hinkelsteintyp zugewandt?«
    »Sie gehört zum Klan der gelben, schwarz gefleckten Katze.« Verachtung lag in seinen Worten.
    Ich dachte, das wäre kein Grund und er wäre vielleicht doch kein so weiser Wolf, obwohl er ein Bote des Großen alten Mammuts war. Aber da fuhr er fort: »Die Kinder vom Klan der gelben, schwarz gefleckten Katze laufen zu oft in den Wald der bunten Blätter. Sie lauschen auf ihr Flüstern. Sie glauben ihm.«
    »Nicht Yrsig «, sagte ich. »Nicht sie! Sie ist anders. Sie ist klug. Sie glaubt nicht an das Geflüster der bunten Blätter. Sie lässt sich nicht von ihnen bestimmen. Sie hat Verstand, der ihr die wahren Werte weist. Sie geht den Weg des Schamanen!«
    »Der Weg des Schamanen ist lang «, knurrte der Wolf. »Und sie ist ein Weib. Die Wege der Weiber sind gewunden und voller Schlingen, wie der Darm des Auerochsen.«
    Ich schwieg eine Weile. Die Höhle weitete sich. Von der Decke hingen Steinzapfen herab, die an das Schmelzen des Eises im Frühling erinnerten. Vom Boden wuchsen ihnen ebensolche Zapfen entgegen. Manchmal trafen sie aufeinander und wir liefen zwischen Säulen, auf denen winzige Kristalle glitzerten.
    Ich überlegte, an welch stinkender Stelle im Darm des Auerochsen Yrsig sich gerade befinden musste, dass ihr die Sache mit dem Hinkelsteintypen passieren konnte, und fragte den Wolf: »Warum liebt sie ihn? Er will sie doch gar nicht.«
    »Gerade das ist es«, sagte der Wolf. »Das versetzt sie in Panik. Er verweigert ihr den Schutz und die Geborgenheit, die sie bei ihm zu finden glaubte. Jetzt wird sie alles tun, um ihn zu gewinnen. Vergiss nicht - sie ist ein Weib!.«
    Es stimmte, dass ich es manchmal vergaß, wenn ich ihren Worten lauschte, die klug sein konnten wie die meinen und ich dachte sie wäre genau so stark in ihrem Herzen, wie ich.
    »Es sind die Ängste, die ihre Seele jagen, wie ein Rudel von uns, wenn wir das Wild einkreisen und ihre Panik lässt sie in die Grube stürzen, die sie selbst gegraben hatte, um Beute zu machen.«
    »Woher kommen denn diese Ängste«, fragte ich.
    »Da sind viele Ursachen«, sagte der Wolf.
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