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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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seinen Konkurrenten halten musste und das es in der anschließenden Diskussion zu verteidigen galt. Ich wählte das Thema »Anglizismen in der deutschen Sprache«. Am Ende entschieden sieben Prüfer, welche Bewerber sich am besten in Szene gesetzt hatten. Ihre Entscheidung brachte die knapp neunzig Studenten des neuen Bachelor-Jahrgangs hervor. Einer von ihnen war ich.
    Die WHU war eine gänzlich privat finanzierte Universität. Deswegen trug sie auch den Zusatz »Otto Beisheim« in ihrem Namen. Otto Beisheim war der größte Förderer der Hochschule. Einst hatte er der Leibstandarte Adolf Hitlers angehört, doch nach dem Krieg gründete Beisheim den Metro-Konzern und stieg damit zu einem der reichsten Männer Deutschlands auf. Neben regelmäßigen Zuwendungen spendete er 1993 der WHU fünfzig Millionen Mark. Er wurde zum Ehrensenator der Hochschule und man verlieh ihm sogar einen Ehrenring. Allerdings deckte seine Spende nicht alle Kosten – und so erhob die WHU hohe Studiengebühren. Jeder Student musste pro Jahr 10 000 Euro entrichten. Elite hat ihren Preis.
    Der Zug rollte weiter und wir näherten uns Düsseldorf. Einer anderen Stadt am Rhein, die ich damals vor Uni-Beginn besucht hatte – in der Hoffnung, den Preis zahlen zu können. In Düsseldorf befand sich nämlich die Zentrale des Mobilfunkunternehmens Vodafone. In demselben Gebäude war auch die Vodafone-Stiftung angesiedelt, die mich kurz nach dem bestandenen Auswahlverfahren der WHU angeschrieben hatte. Im Rahmen ihres Förderprogramms »Vodafone Chancen«, hieß es im Brief, arbeite die Stiftung mit einer Handvoll privater Universitäten zusammen. Man wolle Studenten mit Migrationshintergrund fördern und lade mich daher zu einem Auswahlgespräch ein. Ohne einen Moment zu zögern, nahm ich die Einladung an, begab mich zum Gespräch, und auch hier schien meine Glückssträhne nicht abreißen zu wollen. Die Vodafone-Stiftung nahm mich als Stipendiaten auf und versprach damit, nicht nur die Studiengebühren zu zahlen, sondern auch für meinen Lebensunterhalt zu sorgen: Ab Semesterbeginn bekam ich monatlich knapp 600 Euro auf mein Konto überwiesen.
    Ich nahm also das Studium an der WHU auf und wurde Teil einer exklusiven Welt. Aus mir wurde ein »Elite-Student«, wie es Monate später in der Zeitung stehen sollte. Die Vodafone-Stiftung hatte mir das ermöglicht und ich war ihr dankbar.
    Es vergingen Monate. Ich hockte tagein, tagaus in Vorlesungen über Mikroökonomie, VWL , Grundlagen des Marketings oder Managerial Leadership. Ich schrieb eine Klausur nach der anderen und lernte die fremde Welt immer besser kennen. Gleichzeitig wuchs ich zum Liebling der Vodafone-Stiftung heran. Man wählte mich zum Gruppensprecher, ließ mich als Repräsentant der Stipendiaten bei offiziellen Anlässen sprechen und nahm mich mit zu Podiumsdiskussionen über Bildung und Migration. Vor allem aber wurde ich von der Stiftung vorgeschickt, wenn Journalisten mit einem der Stipendiaten reden wollten.
    Auf einer Exkursion zum Europäischen Parlament lernte ich so Julia Friedrichs kennen. Sie war extra angereist, um mit den Vodafone-Stipendiaten zu sprechen, und traf uns abends in einem Restaurant. Sie sei Journalistin, erzählte Julia, und recherchiere gerade für ihr neues Buch Gestatten: Elite . Da ich ja so unerwartet Teil dieser Elite-Welt geworden war, hörte sich ihr Thema interessant an. Ich bat Julia, mich in Vallendar zu besuchen, um mit ihr in Ruhe zu reden – nicht in einem lauten Restaurant voller Menschen.
    Sie kam und stellte mir jede Menge Fragen, die ich alle beantwortete. Ich erklärte, wie ich, der vor ungefähr zehn Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, es an die begehrte Uni geschafft hatte. Ich unterhielt mich mit ihr über das Studium, über die dortige Vorstellung von Elite und – vor allem auch – über meine Kritik daran.
    Einige Monate später erschien ihr Buch, und die WHU -Studenten und die Universitätsleitung bekamen meine Aussagen in die Hände. Das war vor drei Tagen.
    Im Zug erklang eine Durchsage, die den nächsten Halt ankündigte. Ich nahm meinen Rucksack und begab mich Richtung Tür. Als ich das Quietschen der Bremsen hörte, wusste ich schon, welches Gefühl mich beim Aussteigen erwartete. Dasselbe, das mich in letzter Zeit immer überkam, sobald ich einen Schritt auf den Bahnsteig in Lengerich setzte: Das Gefühl, dass Vallendar, Vodafone und die WHU sehr weit weg wären. Dass die Erfolgsgeschichte »Vom
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