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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt
Autoren: Ally Kennen
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|9| MUM UND DAD
    Meine Mutter meint, Mädchen sollen abends nicht mehr draußen rumlaufen. Meine Mutter hat zu so ziemlich allem ihre eigene Meinung. Und jedes Mal, wenn ich in ihrem öden Kaff ankomme, nachdem ich sie ewig nicht gesehen habe, nehme ich mir vor, mich zusammenzureißen, aber kaum bin ich mit meinen Koffern zur Tür rein, sagt meine Mutter auch schon: »Du hast aber ganz schön zugenommen, Lexi.«
    Hallo? Muss ich, Lexi Juby, mir so was anhören? Reiß dich zusammen, reiß dich zusammen, reiß dich zusammen.
    »Muss ich von dir geerbt haben«, erwidere ich, obwohl meine Mutter rank und schlank wie immer ist. In der Küche kläfft ihr Hund, als hätte sie ihn mit einer Horde Katzen zusammengesperrt. Durch den Lärm höre ich auf der Straße Reifen quietschen. Ich drehe mich um und sehe Dad davonrauschen. Kein einziges Mal in all den Jahren hat er es weiter als bis zum Gartentor geschafft.
    »Tag, Lexi«, begrüßt mich Owen, der Freund meiner Mutter. Er steht in der Diele. Wenn ich den Typen sehe, kriege ich jedes Mal eine Gänsehaut. Das war schon |10| immer so. Ich hätte was anderes anziehen sollen, Klamotten, die vier Nummern zu groß sind. Er beugt sich runter und will mir einen Kuss geben, aber ich tue so, als hätte ich mich verschluckt, und damit ist die Sache erledigt.
    »Groß bist du geworden«, sagt er und lutscht dabei schmatzend ein Bonbon. »Gar kein kleines Mädchen mehr. Du solltest Model werden.«
    »Bloß nicht! Danke für das Kompliment, aber ich hab keine Lust, jeden Tag mein Essen wieder auszukotzen«, erwidere ich. Er reißt mir die Koffer aus den Händen. »Wie zuvorkommend«, sage ich. Owen ist groß und sieht ziemlich gut aus. Wenn er hässlich wäre, käme ich viel besser mit ihm klar. Meine Mutter geht zuerst die Treppe hoch. Ich folge ihr im Seitwärtsgang, sodass mir die Umhängetasche gegen die Hüfte schlägt und Owen mir nicht so leicht unter den Rock glotzen kann. Oben bin ich total überrascht, denn meine Mutter hat mein Zimmer renoviert. Alles ist weiß: die Tagesdecke, die Wände, sogar der Teppich. An einer Wand hängt ein riesiges Schwarz-Weiß-Poster von Manhattan und neben dem Bett ein großer Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß sehen kann. Meine Mutter weiß das zwar nicht, aber ich wollte schon immer mal nach New York.
    Owen lässt die Koffer auf den Teppich fallen. »Dann lass ich euch Mädels mal allein«, sagt er.
    Peinliche Stille macht sich breit.
    »Sei so gut und versuch diesmal, mit ihm auszukommen«, sagt meine Mutter dann. »Owen kann’s nicht leiden, |11| wenn die Stimmung mies ist.« Stimmt nicht. Owen legt es mit Vorliebe drauf an, dass meine Mutter und ich uns in die Wolle kriegen – wobei er sich dafür nicht groß anstrengen muss. Drücken wir’s mal so aus: Das Verhältnis zwischen mir und der Frau, die mich allem Anschein nach zur Welt gebracht hat, ist nicht das allerbeste. Ich betrachte mich im Spiegel. Mein Gesicht ist aufgedunsen und meine Beine sehen dicker aus als sonst. Entweder ist der Rock unvorteilhaft oder meine Mutter hat recht und ich habe tatsächlich zugenommen. Das kann nicht sein.
    »Und hinterlass nicht wieder so einen Saustall«, sagt meine Mutter mit einem Blick auf die beiden Koffer. »Ich habe das Zimmer gerade erst neu eingerichtet.«
    »Ich hinterlasse keinen Saustall. Nirgendwo«, antworte ich ruhig.
    Meine Mutter räuspert sich. »In einer Stunde muss ich zur Arbeit und Owen hat Nachtschicht, das heißt, du hast die Wohnung für dich. Aber verbrauch nicht das ganze warme Wasser und   …« Sie zählt alles Mögliche auf: die Küche in Unordnung bringen, in ihrem Zimmer rumschnüffeln, ihr Shampoo benutzen und überhaupt   …
    »Und überhaupt«, sage ich.
    Meine Mutter ist stellvertretende Geschäftsführerin im einzigen Hotel im Ort und Owen arbeitet bei der Einwanderungsbehörde (auf dem Flughafen Exeter, dreißig Kilometer von hier). Sie sind inzwischen fünf Jahre zusammen. Manchmal, wenn ich sie besuche, können sie die Finger nicht voneinander lassen, beim nächsten Mal reden |12| sie dann wieder kaum ein Wort miteinander. Sie haben schon ein paarmal Schluss gemacht, aber leider vertragen sie sich immer wieder.
    Meine Mutter mustert mich von oben bis unten. »Zieh bitte einen anderen Rock an. Wir sind hier nicht im Rotlichtviertel.«
    Nett.
    Sie ist schon halb draußen, da dreht sie sich noch mal um. »Ach übrigens, Tyson müsste raus. Mach dich ruhig ein bisschen nützlich, solange du hier
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