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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt
Autoren: Ally Kennen
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Lippenstift kein bisschen verschmiert. Erstaunlich. Irgendwann hört sie auf, mich anzuschreien, und geht ins Bett. Schließlich ist es schon spät und sie braucht ihre neun Stunden Schlaf, sonst läuft gar nichts mehr. Ich schleppe mich die Treppe hoch in mein Zimmer, |26| aber ich kann nicht einschlafen. Nach einer Weile krabble ich wieder aus dem Bett. Ich mache das Fenster auf, atme die Nachtluft ein und betrachte den Mond. Ich wollte nicht, dass meine Mutter sich aufregt. Will ich nie, aber irgendwie geht immer etwas schief.
    Ich höre wieder den Strommast summen, aber ich höre noch etwas anderes. Es kommt von weit her, vom Wald. Eine Art Heulen oder Winseln. Der Wind trägt es heran und es wird lauter und wieder leiser. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter.
    Es ist Hundegeheul. Es klingt schaurig und ein bisschen klagend. Wahrscheinlich heulen die Hunde den Mond an. Ich kann es ihnen nicht verdenken – ich würde auch am liebsten losheulen.

|27| IM WALD
    »Ich verstehe nicht, wieso er ein Gewehr mitnehmen muss.« Ich zupfe an den beigefarbenen Satinüberwürfen, mit denen meine Mutter unbedingt die Lehnen ihrer Sessel verhüllen muss.
    »Ich auch nicht«, erwidert sie. »Aber du bist hier der Jäger, stimmt’s, Schatz?« Sie schenkt Owen ein eisiges Lächeln. Sie liegt auf dem Sofa und trinkt grünen Tee. Heute Morgen ist sie ein bisschen munterer, aber mich lässt sie links liegen.
    »Vielleicht schieß ich euch ja endlich mal ein Karnickel«, sagt Owen. Das ist totaler Blödsinn, das wissen wir alle drei. Weder meine Mutter noch ich würden ein von ihm geschossenes Tier essen. Ich habe die Kapuzenjacke an, die ich Devlin stibitzt habe, dazu Jeans und meine alten Turnschuhe. Hoffentlich begegne ich niemandem, auf den es mir ankommt.
    Es ist halb neun. Meine Mutter schickt Owen und mich auf die Suche nach Tyson. Owen meint, wir fangen am besten im Wald an. Meine Mutter findet das ausgesprochen optimistisch, weil der Wald so riesengroß ist, aber Owen hält dagegen, dass wir ja irgendwo anfangen müssen. |28| Er hat auch vorgeschlagen, dass er allein loszieht, denn ich sei ja bloß ein Klotz am Bein (hört, hört!), aber meine Mutter hat ein Machtwort gesprochen.
    »Lexi ist schuld, dass der Hund weg ist, da kann sie ihn auch suchen helfen«, hat sie gesagt. Ob sie mit Dad auch so umgesprungen ist? Kein Wunder, dass sich die beiden getrennt haben. Dad lässt sich nicht gern Vorschriften machen. Aber mir ist schon öfter aufgefallen, dass Owen meiner Mutter gegenüber ziemlich nachgiebig ist.
    »Du siehst aus wie eine Stadtstreicherin.« Meine Mutter mustert mich von Kopf bis Fuß und streicht sich mit der tadellos manikürten Hand über die tadellose Frisur.
    »Weiß ich«, entgegne ich unwirsch. »Leider hab ich meine Hundejägerkluft zu Hause vergessen.«
    »Hättest du Tyson nicht laufen lassen, bräuchtest du dich jetzt nicht so anzuziehen«, kontert sie.
    »Ich hab ihn nicht laufen lassen, jemand hat ihn entführt!«, wiederhole ich stur. Dass ich ihn davor eine halbe Stunde im Vorgarten allein gelassen habe, behalte ich lieber für mich.
    »Jetzt lass die Kleine doch mal in Frieden, Paula.« Owen bindet sich die Schnürsenkel zu. »Es ist ja immerhin möglich.« Wie immer, wenn er mit meiner Mutter spricht, ist sein Ton freundlicher.
    »Ich hab letzte Nacht Hundegeheul gehört«, sage ich. »Es hat sich angehört, als käme es aus dem Wald.«
    »Wahrscheinlich von den Jagdhundezwingern«, meint Owen. Ich wende den Blick von seiner behaarten braunen |29| Wade ab, als er den Strumpf über den Stiefel zieht. »In Chatterton hält sich jemand eine ganze Meute Fuchshunde.«
    »Ich dachte, die Fuchsjagd ist inzwischen verboten?«, frage ich und komme mir dabei dumm vor.
    Owen grinst bloß.
    »Komm doch auch mit!«, sage ich zu meiner Mutter, obwohl ich weiß, dass sie nie im Leben mitkommen würde. Sie ist nicht für Feld und Wald geschaffen.
    »Ich muss den Tierschutzverein und das Hundeheim anrufen, sobald die aufmachen«, entgegnet sie. »Außerdem muss jemand hierbleiben, falls Tyson von selber wieder nach Hause kommt.« Sie wendet sich ab und es versetzt mir wieder einen Stich. Hat sie Tränen in den Augen? Ich habe sie noch nie weinen sehen. Ich sehe zu, wie Owen sich das Gewehr über die Schulter wirft. Mit Schusswaffen kenne ich mich nicht gut aus, aber ich glaube, es ist eine Schrotflinte. Ich mag das Ding nicht. Owen bewahrt die Flinte in einem Metallschrank unter der Treppe auf. Ich find’s
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