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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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See, bis wir uns am Ende gegenseitig zum Kentern brachten. Manchmal, wenn ich am Schreibtisch saß, starrte ich minutenlang auf dieses Bild. Ich versank darin so sehr, dass es mir vorkam, als wäre ich immer noch dort, würde neben den anderen auf der grünen Wiese liegen und mich von der Sonne trocknen lassen.
    Ich wandte mich ab, ging zum Schreibtisch und griff nach dem Telefonhörer. Jede Taste, auf die ich drückte, gab einen Ton von sich, dann piepte es in der Hörmuschel und jemand ging dran.
    »Masoud Sadinam.«
    » Salam Dadasch. Ich bin’s, Mojtaba. Chubi? «
    »Ja, mir geht’s gut. Aber was ist mit dir? Hörst dich ja nicht gerade fröhlich an.«
    Ich seufzte. »Nein, um ehrlich zu sein, geht’s mir beschissen.«
    »Warum denn? Was ist passiert?«
    Ich wollte antworten, aber er fügte schnell hinzu: »Sag nicht, dass es was mit dem Buch zu tun hat.«
    »Doch, hat es. Die haben alles gelesen. Viele sind sauer.«
    »Haben sie was gesagt?«, fragte Masoud.
    »Ja. Über den E-Mail-Verteiler des gesamten Jahrgangs kam einiges. Außerdem war ich heute bei der Verwaltung. Die haben nicht lange herumgedruckst. Sie wollen, dass ich mit dem Rektor rede.«
    »Was?«, rief Masoud in den Hörer. »Warum das denn? So ein verlogenes Pack! Die wollen dir wohl … – Mojtaba, du bist doch nicht etwa hingegangen, oder?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Masoud zögerte. Dann sagte er etwas, was ich mir eigentlich schon erhofft hatte, als ich seine Nummer wählte: »Komm nach Hause. Ich nehme hier den nächsten Zug und bin in zwei Stunden auch da. Vielleicht weißt du es noch nicht, aber Milad ist über das Wochenende auch bei Madar.«
    »Danke!«, antwortete ich.
    »Wir kriegen das schon hin«, sagte Masoud, bevor wir auflegten.
    Ich ging wieder zu dem Bild an der Wand. An seinem Rahmen klebte etwas: meine rote Scheibe, die mir Madar am Abi-Tag gegeben hatte. Ich zog sie vorsichtig ab und steckte sie in die Hosentasche.
    Eine halbe Stunde später saß ich mit einem kleinen Rucksack im Zug und wartete darauf, dass er den Bahnhof von Vallendar verließ. Ich hatte mir ein leeres Abteil gesucht. Regungslos lehnte ich meine Stirn gegen die Fensterscheibe und schaute nach draußen.
    Endlich fuhr der Zug ab. Schon kurz darauf befand ich mich in der rheinischen Idylle: Burgen, Schlösser und Festungen wechselten sich ab mit schroffen Felswänden und grünen Weinbergen. Die Strecke schlängelte sich entlang des Rheins durch schattige Bergtäler, und ich erinnerte mich an das erste Mal, als ich für die Aufnahmeprüfung hierher gefahren war. Damals hatte ich noch mit weit aufgerissenen Augen am Fenster gesessen und mich an dieser wunderbaren Landschaft berauscht, die mich an die Sage von der Loreley und das Nibelungenlied aus dem Deutschunterricht denken ließ.
    Die Monate um das Abitur herum waren eine glückliche und euphorische Zeit gewesen. Endlich das Bleiberecht, beste Noten in der Oberstufe und schließlich ein Abschlusszeugnis, das mir viel Lob und Anerkennung einbrachte. Alle Türen standen mir offen – dachte ich damals jedenfalls und wollte das Beste daraus machen. Als dann eine Lehrerin auf mich zukam und mir von einer Wirtschaftsuni erzählte, die deutschlandweit als die beste gelte, war ich Feuer und Flamme. Sie heiße » WHU  – Otto Beisheim School of Management« und sei genau das Richtige für mich. Bald brachte mich die Lehrerin in Kontakt mit einem Studenten der Uni. Und auch er schwärmte und riet, mich zu bewerben. Es ging alles so schnell. Auf einmal sprachen Menschen davon, dass ich, der grade erst das Asylbewerberleben losgeworden war, zu einer Welt Zutritt finden könnte, die mir völlig unbekannt war, einer Welt, in der das Wort »Elite« kursierte. Diese Vorstellung ergriff mich so sehr, dass auch meine leisen Bedenken und Zweifel erstickt wurden. Ich bewarb mich und wurde zum Auswahlverfahren eingeladen.
    Nach bestandenen Fremdsprachentests in Englisch und Spanisch erwartete mich eine fünfstündige schriftliche Prüfung. Sie sollte die »intellektuelle Leistungsfähigkeit« der Bewerber überprüfen. Letztendlich drehte sich alles um das Verständnis von Texten, Diagrammen und Formeln. Von den Hunderten, die sich der Prüfung gestellt hatten, kam nur ein Bruchteil weiter. Ich gehörte dazu. Einige Wochen später erwartete uns ein zweitägiges Assessment-Center. Das bedeutete mehrere Einzelgespräche, eine Gruppendiskussion und ein Referat, das jeder vor
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