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Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini

Titel: Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Autoren: Alex Thomas
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Prolog

    Judas Ischariot hatte den Freitod gewählt.
    Der karge Baum, an dem sein Leichnam hing, schien von einem
    unheilvollen Schleier umgeben. Der Acker ringsum wirkte krank wie die
    Haut eines Leprösen. Kein Windhauch regte sich, als hätte das Terrain
    um den sterbenden Baum gemeinsam mit dem Toten das Atmen
    aufgegeben. Nicht einmal die Krähen ließen sich auf dem gequälten
    Geäst nieder, um sich an dem Leichnam gütlich zu tun.
    Josef von Arimathäa schirmte die Augen vor dem grellen Licht der
    Sonne ab. Ihn fröstelte, denn trotz seiner Kraft vermochte das Licht der Sonne diesen Ort nicht zu erwärmen.
    »Nehmt diesen Mann herunter!«, befahl er den beiden jungen Männern,
    die er zur Bergung des Toten mitgenommen hatte.
    Josef besaß eine Grabstätte in der Nähe von Golgatha. Dorthin hatte er
    den Leichnam Jesu gebracht, und dorthin würde er jetzt auch Judas
    bringen lassen, in ein kleines Grab unweit davon.
    Der Himmel wurde schwarz, als wollte sich jeden Augenblick ein
    sintflutartiger Wolkenbruch über Jerusalem ergießen. Doch Josef
    bezweifelte, dass auch nur ein einziger Regentropfen zu diesem Acker
    vordringen würde. Die beiden Jünglinge kappten den Strick und ließen
    den Toten langsam zu Boden. Josef glaubte, den kargen Baum vor
    Erleichterung aufatmen zu hören.
    »Es ist nicht so, wie du denkst«, hatte Maria von Magdala gesagt und ihn mit ihren alterslosen Augen angesehen. »Sein Schicksal ist auch unser
    Schicksal. Wir müssen ihn suchen und finden.«
    Also hatte Josef sich auf die Suche begeben und war schließlich hierauf
    gestoßen. Auf einen anscheinend von Gott verlassenen Ort, von dem
    nicht einmal die Aasfresser etwas wissen wollten. Er seufzte. Längst
    hätten Maria, Bartholomäus, Philippus und er auf dem Weg nach
    Alexandria sein sollen.
    Josef sah zu, wie die beiden jungen Männer anfingen, den Leichnam in
    ein kräftiges graues Tuch zu hüllen. Seltsamerweise entströmte dem
    toten Körper kein Geruch, auch schien er kaum verwest zu sein. Keiner
    der Jünglinge verlor auch nur ein Wort darüber, doch Josef wusste, sie
    wünschten sich nichts sehnlicher, als so schnell wie möglich wieder von
    hier zu verschwinden.
    Plötzlich hielt einer der beiden Jünglinge inne und beugte sich vorsichtig über Judas.
    »Was ist?«, fragte Josef alarmiert.
    »Hier steckt etwas«, sagte der junge Mann und zog zwei sorgsam
    ineinandergerollte Schriftrollen unter dem Gewand des Toten hervor.
    Josef spürte im selben Augenblick, wie eine leichte Brise über den Acker wehte. Ein warmer Regen fiel auf sein Gesicht und seinen Körper,
    ebenso wie über das gesamte elende Terrain. Als er die beiden ledernen
    Schriftrollen entgegennahm, konnte er ein Schaudern nicht unterdrücken.
    War das etwa Judas’ Rechtfertigung für seinen Verrat?
    Kleine Regentropfen hatten sich auf der Rückseite der äußeren
    Schriftrolle gesammelt. Aus einem unerklärlichen Impuls heraus blickte
    Josef über den Baum zum Himmel auf und erblickte einen gewaltigen
    Regenbogen. Ein Zeichen?
    Einen Moment lang spielte Josef mit dem Gedanken, die Schriftrollen zu
    lesen, doch irgendetwas tief in seinem Innern warnte ihn davor, sagte
    ihm, dass er kein Recht dazu hätte. Ihm fielen Marias Worte wieder ein:
    »Sein Schicksal ist auch unser Schicksal. Wir müssen ihn suchen und
    finden.« Auf einmal wusste er, wem er die Schriftrollen zu überreichen
    hatte.

DAS GEHEIMNIS

1.

    29. September 1978, Rom, Vatikanstadt

    »Haben Sie etwas entdeckt, Doktor?«, hörte Kleier die jungenhafte und
    ungeduldige Stimme seines Assistenten hinter sich. Er spürte den Staub
    und den Schmutz in seinem verschwitzten Gesicht und schmeckte den
    Dreck auf seiner Zunge. Dieser unbeholfene Stümper, der nur über
    familiäre Beziehungen zu seinem Job gekommen war, gab ihm noch den
    Rest. Vorsichtig näherte der promovierte Archäologe sich der neuen
    Fundstelle, rückte seine Schutzbrille und den Helmstrahler zurecht,
    kniete nieder und begann den Boden vorsichtig mit der Kelle vom Schutt
    zu befreien, bis er auf Widerstand stieß. Staubkörner tanzten im
    Lichtschein. Der Umriss eines quadratischen Steins zeichnete sich unter
    dem Staub ab, außerdem die Andeutung eines Griffes, welche an eine
    Falltür erinnerte. Falltüren waren hier unten nicht üblich.
    »Sieht ganz so aus, Sebastiano.«
    Mit seinen kräftigen, körperliche Arbeit gewohnten Fingern strich Kleier über den Staub und den Stein, bis er den Griff freigelegt hatte. Noch vor drei
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