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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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waren. Da rastete ein Schlüssel im Schloss ein und das Tor öffnete sich mit einem Ruck.
    Madar setzte einen Schritt nach vorne und ich wollte sie aus irgendeinem Grund an ihrem Manto festhalten, als plötzlich eine sanfte Frauenstimme sie grüßte: » Salam Chahar jan! Bitte, komm rein!«
    Wir folgten ihr und kaum hatten wir das Tor passiert, fiel es laut und metallisch schallend zu. Dahinter empfing uns eine Frau von zierlicher Gestalt. Masoud und ich mit unseren elf Jahren hätten uns nur auf die Fußspitzen stellen müssen, um ihr direkt ins Gesicht zu schauen. Besonders strenggläubig war sie wohl nicht, dachte ich, sonst hätte sie auch jetzt ein Kopftuch getragen.
    Madar umarmte die Frau fest und ich hörte sie leise sagen: »Danke, dass du dein Versprechen gehalten hast.« Wahrscheinlich war das gar nicht für unsere Ohren bestimmt, aber ich hatte es gehört und es entfachte sofort meine Neugierde. Als wüsste sie ganz genau, was in mir vorging, wandte sich Madar mir zu. » Batscheha , geht bitte rein, wir kommen gleich nach!«, wies sie uns an und deutete mit dem Zeigefinger auf einen Punkt hinter uns.
    Ich drehte mich um und nahm erst jetzt die Umgebung wahr: Wir standen auf einem großen, schlicht gepflasterten Innenhof, in dessen Mitte ein Blumenbeet etwa ein Dutzend Rosen beherbergte. Madars Finger zeigte auf die andere Seite des langen Hofs: Dort stand ein kleines Haus mit flachem Dach. Es lag etwas höher als das Pflaster, sodass eine Treppe zur Haustür hinaufführte.
    Ich ging zögerlich auf die Treppe zu, blieb davor stehen und drehte mich zu meinen Brüdern um, die mir gefolgt waren. »Ich gehe da nicht rein!«, sagte ich.
    »Aber Madar hat doch …« Masoud schaute nochmal zu ihr herüber, senkte dann nachdenklich den Blick und murmelte: »Nein, ich will da auch nicht rein.«
    »Wir können doch nicht einfach so eine fremde Wohnung betreten«, stimmte Milad bei. »Ich warte hier.«
    Madar und die kleine Frau standen immer noch am Tor und unterhielten sich leise. Sie hatte mittlerweile ihr Kopftuch abgenommen und es wie ein Halstuch auf die Schultern gelegt. Umgeben von ihrem dunklen, leicht gelockten Haar, wirkte ihr Gesicht besonders hell und lebendig. Aber es hatte heute diesen ungewöhnlichen Ausdruck, den ich sonst nur von Lehrerinnen kannte, wenn sie sehr schlechte Diktate zurückgaben und eine düstere, aber zugleich besorgte Miene aufsetzten. Das beunruhigte mich schon, seitdem sie uns vor einer halben Stunde aus unserer Wohnung abgeholt hatte.
    Milad machte die kleine Taschenlampe an, die er mitgenommen hatte und immer noch in der Hand hielt. Er leuchtete damit auf den Boden und ließ den Lichtstrahl langsam kreisen. Seine Mundwinkel waren heruntergezogen, als wollte er sich darüber beklagen, dass wir zu Hause unser Lieblingsspiel nicht zu Ende spielen konnten.
    Milad war gerade mit Leuchten an der Reihe gewesen. Dazu hatte er sich auf die breite Fensterbank am hinteren Ende des Wohnzimmers gesetzt, seine Füße auf der Heizung unterhalb der Fensterbank abgestützt und den Lichtkegel der Taschenlampe auf die gegenüberliegende Wand geworfen. Masoud und ich mussten den Kreis fangen, während Milad ihn tanzen ließ.
    Die Kunst bestand darin, Milads Bewegung vorauszuahnen und blitzschnell mit der Hand auf den Kreis zu schlagen. Doch das gelang uns recht selten. Milad hatte einen Riesenspaß, wenn wir danebenhauten. Er war zwei Jahre jünger als wir, aber konnte uns bei diesem Spiel so lange hin und her laufen und hüpfen lassen, bis wir völlig außer Atem auf dem Boden lagen. Dieser Anblick brachte ihn jedes Mal so zum Lachen, dass seine Apfelbäckchen erröteten und seine hellen Augen tränten.
    Manchmal trampelten wir bei diesem Spiel dermaßen laut herum, dass unsere Nachbarn von unten zornig bei uns klingelten, um sich zu beschweren. Aber wir hatten von klein auf von Madar die Anweisung erhalten, Fremden die Tür nicht zu öffnen. Und in solchen Fällen hielten wir uns bereitwillig daran.
    Dass wir heute unsere Partie nicht abschließen konnten, lag jedoch nicht an den Nachbarn: Milad wollte gerade mit seinem Lichtspiel beginnen, als sich plötzlich die glänzend braune Holztür unserer Wohnung öffnete und Madar mit großen Schritten hereinkam. Sie war viel früher zurück als sonst. Für gewöhnlich kam sie zum Abendessen, wenn es schon dunkel war, aber heute war die Dämmerung gerade erst angebrochen.
    » Salam Batscheha! Zieht bitte schnell eure Schuhe an, wir besuchen heute
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