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...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

Titel: ...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Autoren: Julia Arden
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gesagt.
    Im Büro ihres Chefs hatte Walter Kanters Beschreibung seiner Tochter Michaela seltsam angemutet. Sie hatte sich nicht richtig vorstellen können, was er meinte. Nun wusste sie es. Trotz Tanjas Unscheinbarkeit, ihrem stillen Wesen, spürte Michaela deutlich eine verhaltene Energie. Die, wenn sie Kanter glauben durfte, äußerst schwierige Formen annehmen konnte. Und es gab keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Walter Kanter hätte sich niemals mit seinem Problem an sie gewandt, wenn seine Tochter, dieses auf den ersten Blick stille und schüchterne Mädchen, nicht wesentlich eigenwilliger gewesen wäre, als es den Anschein hatte.
    Michaela beschlich der Verdacht, dass sich ihr Vorhaben, Freundschaft mit Tanja zu schließen, schwierig gestalten könnte. Vieles deutete darauf, dass Tanja ein ernster Mensch war, den man nicht mit ein paar lockeren Worten beeindrucken, dafür aber leicht verschrecken konnte. Wie also sollte sie es anstellen, Tanjas Interesse zu wecken?
    Lass dir was einfallen, Michaela! Immerhin, die Prämie war nicht ohne.
    Direktorin der Hotelanlage auf Gomera. Das war ein Vorzeigekomplex. Fünfzigtausend Quadratmeter, dreihundertvierundzwanzig Zimmer aufgeteilt auf Haupthaus und Bungalows, vier klimatisierte Schwimmbäder, vier Restaurants, drei Bars, davon eine Pianobar, eine integrierte Einkaufspassage, Golfplatz, vier Tennis-, zwei Squashplätze, Fitnessraum, Sauna, Kletterwand, Minigolf, Tauchschule. Das alles eingebettet in einer einzigartig schönen Natur, in ruhiger, absolut harmonischer Atmosphäre. Ein Traum!
    Michaela seufzte sehnsüchtig. Sie hatte eine Woche auf der Insel verbracht, vor etwa einem Jahr, in Zusammenhang mit der Umstellung der Firmensoftware. Das Personal musste in der Anwendung der neuen Software geschult werden. Sie war damals für das Projekt zuständig und hatte sich, nicht gerade uneigennützig, selbst als Schulungsleiter auf Gomera eingeteilt. Zum Glück sprach sie leidlich gut Spanisch, und deshalb fand niemand etwas dabei.
    Dieses Paradies würde ihr »gehören«, sobald Tanja Kanter ihren Widerstand gegenüber den Wünschen ihres Vaters aufgab. Dafür konnte man sich schon mal ein wenig anstrengen!
    Michaela schrak aus ihren Gedanken hoch, als sie Tanjas zierliche Gestalt auf sich zukommen sah. Sie sprang förmlich auf. Walter Kanter und sein Angebot waren plötzlich zweitrangig. Sie war ganz bei Tanja und von der Sorge gefangen, ob sie trotz des Unfalls die Prüfung gut hinter sich gebracht hatte. »Und? Wie lief es?«
    Tanjas kurzes Lächeln wirkte beinah nachsichtig darüber, dass Michaela sich so in Aufregung befand. »Wie erwartet. Eine Eins.«
    Michaela schüttelte den Kopf darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit Tanja dieses Resultat verkündete. »Wie kannst du da so ruhig sein?« In ihrer Begeisterung duzte sie Tanja.
    »Aber das ist doch nichts Besonderes«, sagte Tanja gelassen.
    »Nein? Ist es für dich normal, aus einer Prüfung mit einer Eins herauszukommen?«
    Tanja lächelte verhalten.
    Michaela konnte es nicht fassen. »Es ist normal für dich«, stellte sie baff fest. »Ich bin einem Genie begegnet.«
    »Nein«, wehrte Tanja bescheiden ab. »Ich kann mir Dinge einfach gut merken.«
    »Welchen IQ hast du?«
    Tanja zuckte belustigt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Und nun krieg dich wieder ein.«
    Michaela war glücklich, dass Tanja die Prüfung trotz der denkbar schlechten Voraussetzungen so bravourös bestanden hatte. Ihre Erleichterung war grenzenlos, dass sie Tanja mit ihrer Aktion nicht noch mehr Übel zugefügt hatte. Michaela konnte es sich nicht erklären, aber sie verspürte plötzlich den Wunsch, Tanja in den Arm zu nehmen. Und sie tat es einfach. »Ich bin froh, dass alles so gut gelaufen ist. Ich war in Sorge um dich.«
    »Wirklich?« fragte Tanja.
    Michaela konnte nicht deuten, ob es Überraschung oder Skepsis war, was da in Tanjas Stimme mitklang. »Ja, natürlich«, sagte sie und nickte nachdrücklich.
    Sie setzten sich. Zum ersten Mal lächelte Tanja frei heraus. »Danke.« Dann verdüsterte sich ihr Blick sofort wieder. »Es war nett von dir, hier auf mich zu warten, obwohl du sicher etwas anderes vorhattest. Jetzt musst du wohl gehen?«
    »Ich war auf dem Weg in die Stadt als wir – zusammengestoßen sind. Eine Freundin von mir hat bald Geburtstag. Ich wollte ein Geschenk kaufen.« Das war völlig frei erfunden, und Michaela fühlte sich unwohl bei der Lüge, aber sie konnte schlecht die Wahrheit sagen.
    »Ein
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