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...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

Titel: ...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Autoren: Julia Arden
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1.
    W alter Kanter fühlte sich unwohl in seiner Haut. Dem vierundfünfzigjährigen Hotelbesitzer lag es nicht, andere um etwas zu bitten. Aber genau das würde er gleich tun müssen.
    Unruhig lief er in seinem Büro auf und ab. Der Teppichboden verschluckte den Klang seiner Schritte. Die nussbraunen Möbel spiegelten sich in den hohen Fenstern gen Westen, vor denen Kanter jetzt stehenblieb und hinausblickte.
    Es klopfte an der Tür. Kanter drehte sich um, straffte sich. »Herein.«
    Die Tür wurde geöffnet. Eine junge Frau im beigefarbenen Hosenanzug betrat das Büro. Aufmerksame blaue Augen, eine steile Nase und schmale Lippen gaben ihrem Gesicht einen markanten Ausdruck, welchem durch das kurze, schwarze Haar zusätzliche Strenge verliehen wurde. Ihre schlanke, mittelgroße Statur ließ sie für manchen dennoch zart wirken.
    Walter Kanter wusste, dieser Eindruck täuschte. »Frau Dietz. Danke für Ihr Kommen«, begrüßte er seine Angestellte und bedeutete ihr, sich zu setzen.
    Erneut haderte Kanter mit sich, fragte sich zum x-ten mal, ob er wirklich mit seiner Bitte an Michaela Dietz herantreten sollte. Bitten bedeutete, die Entscheidung in anderer Leute Hände zu legen, und, so sie die Bitte erfüllten, sich später verpflichtet zu fühlen. Er fühlte sich aber nicht gern verpflichtet. Ihm lag es mehr, Dinge anzuordnen. Anordnungen basierten auf klaren Strukturen, einer festgelegten Hierarchie. Und da er in dieser Hierarchie an oberster Stelle stand, führte man seine Anordnungen ohne Diskussion aus.
    Zu allem Überfluss musste er seine Bitte an jemanden richten, dem er sonst Anordnungen erteilte. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte der jungen Frau schlecht die Anordnung erteilen, ihm in dieser Sache zu helfen. Es handelte sich um etwas, das nicht in den Aufgabenbereich einer Managerin fiel.
    Genaugenommen handelte es sich um etwas, das in niemandes Aufgabenbereich fiel. Eine ziemlich delikate Angelegenheit, die sehr viel Fingerspitzengefühl erforderte – also am besten eine Frau. Zumal sein Problem einer Frau geschuldet war, seiner Tochter Tanja. Die weigerte sich nämlich starrköpfig, ihren Platz in der Firma einzunehmen.
    Was hatte er nicht alles versucht Tanja umzustimmen. Im Guten und im Bösen. Nichts half. Er war mit seinem Latein am Ende.
    Dies einzugestehen behagte Walter Kanter ganz und gar nicht, doch andererseits, wenn es nun einmal so war, musste er die bittere Pille eben schlucken und nach anderen Wegen suchen, Tanjas Widerstand zu brechen. Einen solchen Weg glaubte er nun gefunden zu haben. Allerdings brauchte er dabei eine Verbündete, jemanden mit Gefühl und Verstand.
    Er wusste, dass Michaela Dietz diese beiden Eigenschaften in sich vereinte. Das hatte sie in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen. Sie war das berühmte As, das er aus dem Ärmel ziehen konnte, wenn die Dinge irgendwo schiefzulaufen begannen. Sie erkannte und löste Probleme auf die ihr eigene Art: Logisch konsequent, mit einer guten Portion Bauchgefühl.
    Anfangs hatte Walter Kanter diese unberechenbare Komponente in den Entscheidungen seiner Managerin Unbehagen eingeflößt, mittlerweile wusste er sie zu schätzen. Und er wusste, dass Tanja einer Frau mit gerade dieser Eigenschaft viel mehr vertrauen würde als ihm.
    »Frau Dietz, ich weiß, Sie sind mit Leib und Seele dem Hotelgewerbe verschrieben«, tastete Walter Kanter sich langsam vor. »Obwohl Sie erst seit drei Jahren in meinem Unternehmen angestellt sind, sind Sie bereits einige Stufen auf der Karriereleiter gestiegen. Ihr Engagement ist beispiellos. Ich weiß, wenn es irgendwo Kastanien aus dem Feuer zu holen gilt, kann ich Sie bedenkenlos hinschicken.«
    Bei Michaela hatte die kurzfristige Order, im Büro ihres Chefs zu erscheinen, für gespannte Erwartung gesorgt. Solch eine unplanmäßige Besprechung konnte nur bedeuten, dass eine außergewöhnliche Situation eingetreten war. Sie wartete interessiert, wohin diese ungewohnte Lobeshymne führen würde.
    Walter Kanter räusperte sich umständlich. »Na, Schluss mit dem Vorgeplänkel. Lange Rede, kurzer Sinn: Sie müssen mir diesmal in einer ganz anderen Sache helfen. Einer privaten Sache.«
    Privat? Michaela wurde ein wenig unbehaglich. Was sollte das sein?
    »Es versteht sich von selbst, dass ich absolutes Stillschweigen von Ihnen erwarte«, fuhr Kanter fort. »Wenn ich Ihnen jetzt erkläre, worum es sich handelt, werden Sie zunächst sicher schockiert sein. Aber glauben Sie mir, wüsste ich eine andere
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