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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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Au!«
    Schräg links vor ihnen war Stückers Jeep zu sehen. Er hielt sich am Rand des landeinwärts kriechenden Nebels, der die nun sichtbaren Pfahlbauten erreicht hatte. Jenseits der merkwürdigen Konstruktionen verlor sich die Kette der Pfosten im Nebel.
    Der Wagen rutschte gefährlich weit nach rechts. Kurz vor der Kollision mit einem der Markierungspfosten gelang es Baltasar, ihn zu fangen. Er gab etwas mehr Gas und spürte, wie die Lenkung wieder packte. Der Jeep hielt deutlich auf das Ende des Weges, nahe bei den Pfahlbauten, zu.
    »Da kommt er nicht durch«, sagte Goldberg auf dem Rücksitz. Er hatte den Raben losgelassen und beugte sich vor. Poe turnte krächzend durch die Kabine.
    Der Jeep kam ihnen entgegen. Baltasar bemühte sich, den Wagen genau in der Mitte zwischen Pfosten und Eispriel zu halten, um keinen Raum für einen entgegenkommenden Wagen zu lassen.
    Sie hatten die hohen Pfahlbauten fast erreicht. Der von der Nordsee kommende Nebel verschluckte das erste dieser Gebäude.
    Stücker hielt genau auf sie zu. Es gab für ihn eine winzige Möglichkeit. Kurz vor der ebenen Fläche, aus der die Pfahlbauten aufragten, erweiterte sich der Weg zu einer für mehrere Wagen ausreichenden Park- und Wendestrecke. Dort würde Stücker an ihnen vorbeimanövrieren können. Vielleicht.
    Baltasar schnalzte mit der Zunge. »Seine einzige Chance.«
    Weiter rechts, jenseits der Pfostenkette, war der vereiste Boden viel zu uneben, fast wie auf der linken Seite, im Eispriel.
    »Nun wird es windig. Achtung, Freunde! Die Fährnisse«, setzte er hinzu, »überschreiten alsbald das dem Himmel genehme Maß der leichten Unterhaltung.«
    Der Jeep beschleunigte. Matzbach gab Gas, um überhaupt Kontrolle über den Wagen behalten zu können. Es wäre völlig unmöglich gewesen, auf dem vereisten Boden zu bremsen. Beide Wagen rasten schlingernd auf die breite Stelle am Ende des Wegs zu. Stücker schien versuchen zu wollen, hart am Rand des Eispriels zu bleiben. Er wollte Matzbachs Wagen offenbar auf der linken Seite passieren.
    Baltasar zog ebenfalls weiter nach links hinüber. Der Wagen gehorchte kaum noch, aber sie erreichten das Ende des Wegs als erste. Vor ihnen ragten die Pfahlbauten empor, vom Nebel beleckt und zum Teil schon verschlungen. Bierreklame zierte einen der Bauten: ein hochtrabendes Strandlokal.
    Dann befanden sich die beiden Wagen auf einer spiegelglatten Eisfläche nebeneinander und waren nicht mehr zu kontrollieren. Mit einem fürchterlichen Knall prallten Jeep und Pallas längsseits gegeneinander. Baltasar sah für einen Moment dicht neben sich Stückers aufgerissene Augen.
    Der Rabe grölte.
    Geisterhaft und mit immer noch hohem Tempo trudelte der Jeep auf einen der massiven Tragpfähle des Restaurants im Watt zu, legte sich elegant auf die Seite; dann krachte er mit dem Heck gegen den Pfahl, wurde herumgerissen, krachte mit der Schnauze gegen einen zweiten der hohen und dicken Tragpfosten, überschlug sich, rutschte in eine ausgespülte Vertiefung unterhalb des Restaurants, knallte gegen eine Betonverankerung und blieb liegen.
    Hoff, Goldberg und Matzbach nahmen all dies nur aus den Augenwinkeln wahr, nebelhaft und unwirklich. Baltasar kurbelte wie wahnsinnig und trat das Gaspedal voll durch. Einen Moment lang hatte er die Illusion, er könnte den Wagen noch einmal unter Kontrolle bekommen. Die Lenkung bot Widerstand, die Vorderräder schienen zu greifen. Dann sah er einen der Hauptpfähle des zweiten Hochbaus auf sich zuschießen und schloß entsagungsvoll die Augen.
    »Schnöde Welt«, murmelte er. Der Wagen prallte mit dem linken vorderen Kotflügel gegen das massive Holz, tanzte auf dem Eis einen Dreiviertelkreis, blieb an einem anderen Pfahl hängen, rutschte über einen Pfosten hinweg, der nur etwa einen halben Meter hoch war und an dem vermutlich zu anderen Jahreszeiten Boote festgezurrt wurden. Der Pfosten riß den Boden des Wagens auf und brach dabei ab. Der Motor setzte endgültig aus. Mit dem restlichen Schwung schob der Wagen die Schnauze unter eine Querstrebe zwischen zwei Pfählen des mehrfach heimgesuchten Gebäudes.
    Stille. Matzbach öffnete die Augen und ließ das Lenkrad los. Neben ihm atmete Hoff seufzend durch.
    »Es ist«, sagte Baltasar leise, »noch ein wenig Leben in den Gebeinen.«
    Er wandte sich um. Poe hüpfte auf seine Schulter und keckerte. Andreas Goldberg saß bleich auf der Beifahrerseite, in die Türecke gedrückt, überschüttet von Splittern der Heckscheibe, und hielt sich
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