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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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den rechten Arm, der unnatürlich abgewinkelt war.
    »Gebrochen«, sagte er und verdrehte die Augen. Dann ließ er den Kopf auf die Brust sinken und stöhnte.
    Hoff löste seinen Gurt und blickte Baltasar an. »Wie hast du das ohne Gurt überstanden?« sagte er irgendwie mißbilligend.
    Matzbach hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Wenn's frontal geknallt hätte, wäre ich wahrscheinlich inzwischen ein Teufelchen.«
    Er versuchte die Tür zu öffnen, aber sie war durch die Karambolagen zu stark eingedrückt. Hoff lehnte sich gegen die Tür an seiner Seite; sie ließ sich langsam bewegen. Er krabbelte ins Freie; Baltasar kletterte hinterher.
    Die hintere Tür war zu öffnen. Vorsichtig halfen sie Andreas aus dem Wagen und klopften die Splitter aus seinem Haar und seinen Kleidern. Dann hievten sie ihn auf den Vordersitz. Wie durch ein Wunder war die Windschutzscheibe heilgeblieben.
    »Wir werden versuchen, dich hier möglichst ohne Stoßen wegzukriegen«, sagte Baltasar.
    Andreas versuchte ein Lächeln. »Es geht schon«, sagte er leise; »ich darf nur nicht lachen.«
    Baltasar streichelte ihm den Kopf. »So ist es richtig, mein braver Grenadier.«
    Er wandte sich zu Hoff um, der in eine andere Richtung starrte. »Was macht der Jeep?«
    Henry zuckte mit den Schultern. »Gut in Watte verpackt, möcht ich meinen.«
    Inzwischen konnte man keine zehn Meter mehr blicken. Baltasar zog die Pistole aus der Jacke, holte das Magazin heraus, nahm ein neues aus dem Handschuhfach und schob es in die Waffe.
    »Mal sehen«, sagte er.
    Hoff riß die Augen auf. »Du glaubst doch nicht, daß er da heil rausgekommen ist.«
    »Genausowenig wie wir.« Matzbach wandte sich an Andreas. »Sicher ist sicher. Wir sehen mal nach. Bleib du inzwischen ruhig sitzen. Wenn's knallt, zieh den Kopf ein.«
    Andreas nickte vorsichtig.
    Baltasar und Henry gingen langsam dorthin, wo sie hinter dem Nebel Stücker und seinen Wagen vermuteten. Poe landete auf Baltasars Schulter.
    »Na«, sagte Matzbach, »immer da hin, wo
action
ist, wie?«
    Die Szene war gespenstisch. Das ferne, unsichtbare Meer lieferte ein gedämpftes Hintergrundrauschen. Alle anderen Laute erstickte der Nebel. Er hing über allem wie ein wattiertes Deckbett. Die Männer hörten ihre eigenen Schritte kaum, auch nicht das Knirschen des Eises, wenn sie ins Schlittern gerieten. Baltasar stolperte über einen schmutzigen, heißen Gegenstand, der eine Vertiefung ins Eis geschmolzen hatte. Fluchend stand er wieder auf. Seine eigene Stimme klang wie aus weiter Entfernung. »Der Auspuff«, verkündete er. Henry zuckte zusammen, als unmittelbar über ihm eine Möwe einen Klagelaut ausstieß.
    Vor ihnen sickerten die Umrisse des Restaurants aus dem Nebel. Nach einigen weiteren Schritten sahen sie den Jeep; er lag auf dem Überrollbügel, das Dach war abgerissen, zwei der Räder drehten sich träge wie Gebetsmühlen.
    Plötzlich bewegte sich hinter dem Wagen etwas. Henry gab Matzbach einen Stoß und ließ sich fallen. Baltasar stürzte hinter einer Eiswelle zu Boden. Gleichzeitig hörten sie, gedämpft, einen Schuß, dann einen zweiten. Die Kugeln pfiffen durch die wattierte Luft. Zuckend stürzte eine tödlich getroffene Möwe aus dem undurchsichtigen Himmel in Henrys Nacken.
    Baltasar und Henry blieben liegen und starrten zum Jeep hinüber. Die Sekunden verstrichen, dann bewegte sich wieder etwas, nicht genau auszumachen. Der Nebel wurde noch dichter.
    Baltasar rutschte zur nächsten Eiswelle. Plötzlich sprang Stücker hinter dem Jeep hervor und rannte nach links, auf einen der Pfähle zu. Er trug etwas in der linken Hand. Baltasar zielte und schoß. Stücker stieß einen Schrei aus, knickte ein, blieb wie ein Fragezeichen stehen, drehte sich um und schoß zurück. Die Kugel ging über Baltasars Scheitel hinweg und blieb mit dumpfem Plopp in einem im Nebel unsichtbaren Pfahl stecken. Poe hüpfte auf den breiten Rücken des Dicken und klapperte mit dem Schnabel.
    Baltasar schoß ein zweites Mal, gezielt, ohne sich von dem Raben ablenken zu lassen. Stücker schrie auf, ließ die Waffe fallen und das, was er in der anderen Hand hatte, und hielt sich die Rechte. Baltasar stand auf und näherte sich ihm ein, zwei Schritte.
    »Geben Sie auf, Mann«, rief er. »Sie haben doch keine Chance mehr.«
    Stücker ließ die verwundete Hand los und verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein. Das linke Hosenbein war blutgetränkt.
    »Kein Gefängnis, Matzbach«, sagte er halblaut, fast bittend. Dann bückte er
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