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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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und es sind sehr viele. Und wie wir soeben gehört haben, ist es sauberes Geld. Ich finde, durch unseren tapferen Einsatz haben wir es verdient. Hat einer von euch beiden Kanaillen Hemmungen, sein Drittel anzunehmen? Für jeden ist es leicht eine sechsstellige Summe.«
    Andreas schüttelte den Kopf. Henry kicherte plötzlich. »Ich«, sagte er feierlich, »bin arbeitslos. Da mir niemand eine Stelle geben will, sehe ich nicht ein, daß ich etwas mit sechs Stellen ablehnen soll.«
    Matzbach schob die Bündel zur Seite. »Später wird gezählt und dividiert. Es ist immerhin ein Fortschritt, daß bei meinem Detektivspielen mal etwas Zählbares herauskommt.«
    Dann berichtete er über die Symbole im Werk eines argentinischen Autors.
    »Interessant dabei ist, daß sich um diese Symbole die verschiedenen Ebenen der Erzählungen aufbauen, aber das nur am Rande. Leben, Kraft, Vollendung und so sind bei Borges immer mit starken Farben, wie Rot, und stabilen Formen umgeben, Quadrate, Kugeln und derlei. Tod und Hinfälligkeit et cetera dagegen mit schwachen Farben, wie Grau, und mit Formen, die nach Auflösung streben. Vor allem«, sagte er bedeutsam, »mit Rhomben. Das sind diese unregelmäßigen Vierecke, die so aussehen, als wollten sie jeden Moment zusammenklappen und zu einer einzigen schlappen Linie werden.«
    Während die anderen ihm noch immer verständnislos lauschten und nicht wußten, worauf das alles hinauslaufen sollte, griff er zu Papier und Füller und begann, Männchen zu malen.
    »Nun denn«, sagte er munter. »Diese Kartoffeldame hat mir davon erzählt, und das ließ mich nicht mehr los. Etwas in meinem Hinterkopf bohrte die ganze Zeit. Als ich von Stückers Alibi und der rothaarigen Eva hörte und dann ein paar andere Puzzlesteine in die Finger bekam, fielen mir die Bilder von Naumann und Irene wieder ein, die wir gesehen haben. Ganz sicher war ich, als ich in Stückers Regal diesen argentinischen Autor wiederfand.«
    Er hatte seine Gemälde beendet und hielt das Papier hoch. Links waren zwei Strichmännchen zu sehen, die nebeneinander lagen. Baltasar hatte die fünf Kreuzchen eingezeichnet, mit denen er Stücker überrascht hatte: in den Köpfen, in Brusthöhe und leicht versetzt, dort, wo man bei besser gemalten Figuren die Leber würde vermutet haben. Er verband die Kreuzchen so, daß sich ein Quadrat mit Diagonalen ergab. Dabei lag der hypothetische Herzschuß der linken Figur auf der Diagonalen zwischen der Leber der linken und dem Kopf der rechten Figur.
    »Das aber war der Bluff. Offenbar war ich so überzeugend, daß Stücker selbst glaubte, er hätte eine Gedächtnislücke oder einen Fehler gemacht. Er war jedenfalls verwirrt und ein paar Sekunden geistesabwesend.«
    Nun deutete er auf die beiden anderen Strichmännchen. Diese lagen so, wie man dank Andreas' Aufklärung die Lage der beiden Ermordeten annehmen konnte: Irene, rechts, mit dem Kopf nach unten, ihre Füße neben Naumanns Kopf. Wieder malte er Kreuze.
    »Tatsächlich nämlich«, sagte er, »hat Stücker viermal geschossen, und zwar genau, er hat die Köpfe und die Herzen getroffen.«
    Er verband die Kreuze.
    »Und was erhält man so? Einen regelmäßigen Rhombus, auch als Parallelogramm bezeichnet.«
    Er machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr. »Nun hätte, wie er mir sagte. Stücker auch zwei andere Damen mit verstellbarem Wecker für sein Alibi mißbrauchen können, aber dazu war er zu eitel. Er hat mit dem nicht ganz neuen Gedanken von der Ähnlichkeit der beiden Vorgänge Zeugung und Sterben gespielt. Darum hat er an den Beginn seines Alibis die Nacht mit der rothaarigen Eva gestellt, ans Ende die Ermordung von Naumann und Irene durch einen bleiernen Rhombus. Die beiden anderen Damen kamen für seinen perfekten Plan nicht in Frage, denn sie haben die falsche Haarfarbe.« Er betrachtete die Gesichter seiner Zuhörer.
    »Wir haben eben erfahren«, sagte er dann, »daß Rot in dieser argentinischen Spezialsymbolik, die aber auch schon älter ist, für das Leben steht. Und daß ein Rhombus, wie Stücker ihn – brutal gesagt – mit Blei gezeichnet hat, dem Tod entspricht. Hier ein Zeugungs-, dort ein Tötungsvorgang. Es ist reichlich makaber. Noch makabrer wird es dadurch, daß Stücker zusätzlich sozusagen eine abstrakte Diagonale gezogen hat, indem er nicht zweimal Form oder zweimal Farbe, sondern einmal Farbe und einmal Form nahm.« Er lehnte sich zurück.
    Ariane blickte ihn kopfschüttelnd an. »Fein ausgetüftelt von ihm, und
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