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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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Teewagen. Wenn er sich bei seinen letzten Blicken durchs Zimmer, ehe er gefesselt wurde, verschätzt haben sollte, würde sein Nacken die Rechnung begleichen müssen.
    Nach und nach gelang es ihm, den Stuhl rückwärts zu verschieben. Dann begann er, mit aller Macht zu schaukeln.
    Krachend stürzte das hölzerne Möbelstück unter dem Gewicht von zwei Zentnern Matzbach auf den Teewagen und zerbrach. Baltasar brüllte vor Schmerz, als die Wucht des Sturzes den Rücken traf, aber nach dem ersten Schock spürte er keine weiteren Schmerzen; er konnte sich teilweise bewegen. Durch Zerren und Krümmen erreichte er, daß die Schnur sich von der zersplitterten Stuhllehne löste. Seine Arme waren zwar noch zusammengebunden, aber er konnte sie immerhin um einige Zentimeter bewegen, hinter dem Rücken.
    Er gönnte sich einige Minuten, um durchzuatmen und sich zu konzentrieren.
    »Die tapferen Strampelbeinchen«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen, »los!«
    Nun, da er nicht mehr in sitzender Haltung gefesselt war, schaffte er es, wenn auch unter Aufbietung aller Kräfte, die Bauch-, Gesäß- und Beinmuskulatur einzusetzen. Die Stuhlbeine ächzten und brachen. Schwer atmend rollte er sich durch den Raum, bis er mit dem Bauch auf einem der abgesplitterten Holzteile lag. Ohne Rücksicht auf Hemd und Haut begann er, die Schnur über die Bruchstücke zu reiben.
    Nach etwa einer Viertelstunde war er frei. Schwitzend, mit schmerzendem Rücken und einer leicht blutenden Wunde über dem Magen genoß er das Kribbeln in seinen Händen; dann suchte er das Becken in der Kochnische auf, um die kleine Wunde zu spülen. Kein Wasser. Offiziell war niemand im Haus, das Wasser mußte also abgestellt sein.
    Er riß einen Fetzen aus dem Hemd, tupfte das Blut ab und zog einige Splitter aus der Haut. Dann warf er den Fetzen fort und griff nach seiner Jacke. »Allerletzte Runde«, knurrte er dabei.
    Die Pistole auf dem Schrank war geladen; Stücker hatte sich sicher genug gefühlt, deshalb hatte er nicht weiter an die Waffe gedacht.
    Matzbach musterte die stabile Holztür. Knurrend richtete er die Pistole auf das Schloß und feuerte viermal. Die Schüsse im geschlossenen Raum betäubten ihn beinahe. Mit singenden Ohren tat er den letzten Schritt. Er steckte die Waffe ein, packte die Klinke mit beiden Händen, stemmte ein Bein gegen die Wand und riß die Tür auf. Dann rannte er durch die Gänge, nahm die Treppen im Laufschritt, schoß, wie ein Pfropfen aus der Flasche, aus dem Eingang und rannte dorthin, wo er den zivilen Polizeiwagen gesehen hatte. Die Männer saßen noch immer unauffällig hinter ihren Zeitungen. Er klopfte an die Scheibe.
    »Ja?« Der im Fahrersitz kurbelte das Fenster herunter.
    »Matzbach«, sagte Baltasar schwer atmend, »rufen Sie in der Zentrale an, dort wird man Ihnen sagen, was der Name bedeutet.«
    Er unterdrückte das Pfeifen seiner Lunge, holte tief Luft und sprach hoheitsvoll: »Sie sollten sich den Namen ohnehin merken. Übrigens läuft Stücker hier, verkleidet als der Rentner Bensemeier, durch die Gegend.«
    Die Männer blickten einander an. Der Beifahrer zog ein Sprechfunkgerät unter dem Sitz hervor.
    »Na schön«, sagte er. »Da Sie den Namen Stücker kennen, wollen wir das mal weitergeben. Halt, wo wollen Sie hin?«
    Aber Baltasar lief bereits weiter. Er erinnerte sich plötzlich an Eigentümlichkeiten der Detailkarte, die er vor Stunden gemustert hatte.
    Vor dem vereinbarten Café stand sein Wagen. Er entdeckte Hoff und Goldberg samt Rabe an einem Tisch in Fensternähe und winkte ihnen heftig zu. Sie hatten vorsichtshalber gleich bei der Bestellung bezahlt und stürzten ins Freie.
    »Was ist los? Mann, wie siehst du denn aus?«
    Baltasar bemerkte erst jetzt, daß seine Jacke offen war. Er wischte die Frage ungeduldig beiseite. »Habt ihr in den letzten Minuten einen alten Mann mit Pelzmütze gesehen?«
    Hoff stutzte. »Ja. Der ist eben da drüben in den kleinen Laden gegangen. Warum?«
    Baltasar blickte in die angegebene Richtung. In diesem Moment verließ Stücker das Geschäft und schaute zu ihnen herüber.
    Baltasar zischte nur »Deckung!« und stieß Hoff, der neben ihm stand, zu Boden. Hoff versuchte, sich an Goldberg festzuhalten und riß diesen dabei ebenfalls um. Matzbach sprang mit einem Satz hinter seinen Wagen. Stücker schoß zweimal, ließ die Einkaufstüte fallen, die er zusammen mit dem Stock in der linken Hand getragen hatte, und rannte um die Ecke.
    »Auf, ihr Männer!« Baltasar riß
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