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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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ein in Richtung Watt jaulendes Auto Schlüsse gezogen.
    Am Flugplatz war ein Mann verhaftet worden, über dessen Identität nichts zu erfahren war. Auch Ziegler sagte nichts, später. Dafür berichtete er, daß man Stückers Leiche gefunden hatte, als der Nebel die Suche nicht länger behinderte.
    »Er ist Richtung Meer gegangen«, sagte er. Man saß in Arianes Wohnung, bei Kaffee und Cognac. Anwesend neben Ziegler und Ariane sowie, natürlich, Matzbach waren Henry, Andreas und Sarah.
    »Er ist aber nur bis zum letzten Pfahlbau gekommen, vielleicht zweihundert Meter, weiter nicht. Ich nehme an, das verletzte Bein, die Schmerzen und vor allem die Wut und Enttäuschung haben ihm den Kopf vernebelt. Er muß ausgerutscht oder gestolpert sein. Der Boden ist da sehr uneben, und natürlich vereist. Er ist in die vom Meer ausgespülte Vertiefung unter dem letzten Pfahlbau gerutscht und hat sich den Kopf an einem Pfosten aufgeschlagen. Hier, die rechte Schläfe.« Er machte eine Bewegung mit der Hand. »Abgeschürft, bis in die Haare. Ein bißchen Haut und einige Haare fanden sich in etwa eineinhalb Metern Höhe an dem Pfosten. Laut Obduktion hat er dabei eine Gehirnerschütterung erlitten und wahrscheinlich das Bewußtsein verloren.«
    Baltasar kniff die Augen zusammen. »Und woran ist er gestorben?«
    Ziegler musterte ihn aufmerksam. »Schwäche durch Blutverlust«, sagte er langsam; »und vor allem ist er erfroren. Es hat ja fast einen Tag gedauert, bis er gefunden wurde. Warum fragen Sie?«
    Baltasar lächelte. Es sah nicht sehr echt aus. »Ich wollte nur wissen, wieweit ich direkt Schuld trage. Es ist zwar in vielen Gegenden üblich, daß man erst dann ein vollgültiges Mitglied des örtlichen Senats werden kann, wenn man einen Baum gepflanzt, einen Sohn gezeugt und einen Feind erschlagen hat. Da ich aber weder am Senat interessiert bin noch Pflanzungen und Zeugungen vorzunehmen gedenke, bedrückte mich der Gedanke an eine Erschlagung.«
    Ziegler hob die Brauen. »Aus Ihrem Seelenleben soll jemand schlau werden! Im übrigen bleibt da die Frage Ihrer indirekten Beteiligung. Aber das wollen wir nicht diskutieren. Es würde mich«, sagte er gedehnt, »etwas anderes interessieren. Und zwar die Mappe, die Sie meinen Kollegen ausgehändigt haben und die so dünn war. Die paar Blätter darin waren zwar ganz interessant, aber die hätte man auch falten und in die Jackentasche stecken können. War da nicht vielleicht sonst noch was in der Mappe?«
    Henry und Andreas verschluckten sich an ihren jeweiligen Getränken und begannen zu husten.
    Matzbach blickte völlig unschuldig drein. »Was soll denn in der Mappe gewesen sein?«
    Ziegler starrte ihm in die Augen, doch hielt Baltasar dem Blick stand, ohne mit einer Wimper zu zucken.
    »Geld«, sagte Ziegler. Er zwinkerte. »Sauberes Geld, das er für seine Villa bekommen hat. Es ist nicht falsch und nicht illegal, wenn man von seinen diversen Bestechungen absieht, die irgendwann einmal die Basis für das Vermögen geliefert haben. Es wäre der Staatskasse willkommen gewesen.«
    Nach einer Pause erhob er sich.
    »Na ja, da kann man nichts machen, nicht wahr, Matzbach? Ich werde Sie jetzt alle verlassen.«
    Ariane erhob sich ebenfalls, und auch Baltasar stand auf. »Sagen Sie, Ziegler, Sie haben mich noch gar nicht wegen abenteuerlicher Einzelgänge ohne behördliche Genehmigung beschimpft.«
    Ziegler räusperte sich. »Ich gehe davon aus, daß nach Lage der Dinge dank der Maskierung des Herrn Bensemeier, befahrbaren Wegen auf der Meerseite des Deichs und Präsenz eines Flugzeugs Stücker wohl ohne Sie entkommen wäre. Deshalb verzichte ich darauf, wegen der Mappe weitergehende Untersuchungen anzustellen. Gehaben Sie sich wohl.«
    Als er gegangen war, wedelte Andreas sanft mit seinem Gipsarm. »Also, Dicker, was ist mit der Mappe?«
    Gleichzeitig sagte Ariane: »Also, Baltasar, was war das für ein geometrischer Bluff, auf den Stücker reingefallen ist?«
    Sie bezog sich auf die längeren Erörterungen, die bei Kaffee und Cognac stattgefunden hatten, und auf die Berichte.
    »Die Mappe«, sagte Baltasar, indem er sich wieder setzte und unter seinem Sessel eine Leinentasche hervorzog, »enthielt, was dieses Täschchen nunmehro birgt. Zwischenzeitlich barg ich es auch an meinem Busen.«
    Er zog den Reißverschluß auf und entleerte die Tasche durch Umdrehen. Bündel von Banknoten purzelten auf den Tisch.
    Als die Ahs und Ohs beendet waren, sagte er: »Ich habe sie gezählet, o Freunde,
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