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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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Prolog
    PROLOG
    Die Nacht war sternenklar. Als er das Achterdeck betrat, ertappte er sich dabei, dass seine Hand automatisch in die Brusttasche seines Jacketts fuhr, wo normalerweise seine Sonnenbrille steckte, und er musste über sich selbst lächeln.
    Noch vierundzwanzig Stunden, dann war Vollmond, und an Deck war es beinah taghell.
    Weit und breit kein einziger Passagier und auch niemand von der Besatzung. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Fünf Minuten vor halb drei. Wunderbar. Das war die Zeit, die er liebte, seine ganz eigene blaue Stunde, Erholung nach der Last des Tages. Und wenn es irgendwie ging, dachte er nicht daran, diese köstlich stille Stunde zu verschlafen.
    Einen Moment stand er an der Reling und sah auf das vom fahlen Mondlicht beleuchtete, nachtschwarze Meer. Der Ozean zeigte eine schwere Dünung, und die Schaumkronen der Wellen, die vom Licht des Schiffes angestrahlt wurden, leuchteten weiß und beinah grell.
    Er konnte sich nicht sattsehen daran.
    Die Schiffsmotoren arbeiteten ruhig und gleichmäßig, das Kreuzfahrtschiff stampfte durchs Wasser, ein beruhigendes Geräusch, das fast so etwas wie Geborgenheit signalisierte.
    Aus den Deckskisten an der Seite, unmittelbar neben den Rettungsbooten, nahm er eine blaue Schaumstoffauflage und legte sie auf einen Liegestuhl, den er nah an die Reling rückte. Hier wehte ein frischer Wind, den er im Schutz der Brücke nicht gespürt hatte, aber er störte ihn nicht. Im Gegenteil. In seinem Alltag in der Stadt kam Wind so gut wie gar nicht vor.
    Er legte sich auf den Liegestuhl und sah in den Himmel. Noch nie war ihm so bewusst geworden, wie unendlich viele Sterne es gab, allein in seinem kleinen beschränkten Blickfeld auf diesem Punkt der Erde.
    Einen Stern musste er finden, seinen eigenen. Einen, der nur für ihn leuchtete, der ihn begleitete, egal, wo er sich aufhielt. Den er immer wiedererkannte, wenn er die Zeit und Muße finden sollte, in Deutschland in den Himmel zu schauen.
    Er war nicht religiös, aber in dieser Nacht war er dankbar für sein wunderbares, erfülltes Leben, für den Frieden, den er gerade jetzt, in diesem Moment empfand.
    Natürlich war er einsam, aber das war gut so. Ein Genie musste einsam sein. Warum nur konnte nicht jeder seiner Gedanken der Nachwelt überliefert und erhalten werden? Sein Leben und seine Leidenschaft waren einzigartig. Ein treffenderes Wort gab es dafür nicht.
    Er atmete tief durch und streckte sich wohlig aus. Ein warmer Schauer absoluter Zufriedenheit durchzog ihn. Vielleicht würde er jede Nacht an Deck verbringen.
    Eine Melodie klang in seinem Kopf, und er überlegte, um welches Lied es sich handelte, als er die schwere Eisentür zum Promenadendeck klappen hörte.
    Unwillkürlich zuckte er zusammen und wurde augenblicklich wütend über die Störung.
    Es war der gut aussehende Mann, der Arzt, der zum Frühstück nur Obst aß und seine schwangere Frau umsorgte, als wäre sie sterbenskrank.
    Und jetzt kam er mitten in der Nacht an Deck. Allein. Ohne seine Frau.
    Er nickte ihm kurz zu und stellte sich an die Reling.
    Hoffentlich spricht er mich nicht an, dachte er. Das ist das Letzte, was ich will und was ich jetzt gebrauchen kann. Außerdem zerstörte er das Bild. Die kostbare Einsamkeit an Bord.
    Es regte ihn auf, dass der Mann es wagte, dort zu stehen. Es war ein ästhetisches Problem.
    Der Arzt hielt sich merkwürdig unsicher an der Reling fest, schwankte leicht, und dann erbrach er sich ins Meer.
    Das ist ja ekelhaft.
    Mehr dachte er nicht.
    Er stand aus seinem Liegestuhl auf, ging zu dem jungen Arzt, dem immer noch übel war, und ohne ein Wort zu ihm zu sagen, packte er ihn an den Beinen, hob ihn hoch und warf ihn wie ein Paket über die Reling ins Meer.
    Nach ein oder zwei Sekunden hörte er, wie der Körper auf dem Wasser aufschlug.
    Es interessierte ihn nicht. Er sah ihm noch nicht einmal hinterher, sondern drehte sich mit einem eleganten Hüftschwung um und legte sich zurück auf seinen Liegestuhl.
    Allmählich kehrte wieder Frieden ein. Er schloss die Augen und genoss diese wundervolle Nacht.

Erster Teil
    ERSTER TEIL
    JUGENDSÜNDEN

1
    1
    Berlin, Juni 2009
    Es gab viele Dinge, die Matthias auf den Tod nicht ausstehen konnte, und eines davon war frühes Aufstehen. Dazu war er einfach nicht geboren. Basta. Ende der Diskussion.
    Schon als kleiner Junge hatte er liebend gern geschlafen und war auch am Sonntagmorgen nicht aus dem Bett zu kriegen. Zum Entzücken seiner Mutter, die ebenfalls gern
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