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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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der Arzt und reichte ihm die Hand. Matthias dachte an die Millionen und Milliarden von Bakterien, die vielleicht jetzt gerade auf ihn übergegangen waren, aber dann schob er den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das Gesicht des Arztes, das freundlich und ernst zugleich aussah.
    »Der Zustand Ihrer Mutter ist jetzt stabil«, meinte er. »Sie hatte einen schweren Schlaganfall und lag wahrscheinlich schon mehrere Stunden auf dem Boden, bevor Sie sie fanden. Diese lange Zeit ist das Problem. Darum sind die Schäden, die wahrscheinlich bleibende sind, so schwerwiegend. Ich kann Ihnen jetzt noch nichts Hundertprozentiges sagen, aber ich denke, Ihre Mutter wird sich aufgrund ihrer Lähmungen nicht mehr allein fortbewegen können. Das wird sicher durch Übung noch geringfügig zu verbessern, aber wohl nicht mehr vollständig reparabel sein.«
    »Das heißt, sie wird im Rollstuhl sitzen müssen?«
    Der Arzt nickte.
    »Und sie wird sich schwer artikulieren können. Es kann sein, dass sie vieles versteht, aber Sie werden sich höchstwahrscheinlich nie wieder mit ihr unterhalten können. Das ist schwer, ich weiß. Ihre Mutter ist von nun an ein Pflegefall, aber sie lebt, und sie wird bald wieder bei Ihnen sein und nach Hause zurückkehren. Ich hoffe, das tröstet Sie ein wenig.«
    Matthias war wie vor den Kopf geschlagen. Wie ein Schwachsinniger stand er vor dem Arzt und starrte ihn an.
    Es gelang ihm noch nicht einmal, sich innerlich zu empören und dagegen zu rebellieren.
    »Herr von Steinfeld?«
    Matthias sah zu Boden und reagierte nicht.
    Der Arzt fasste ihn am Arm. »Sie müssen jetzt stark sein! Für sich und Ihre Mutter! Lassen Sie sie in den kommenden Tagen Ihre Verzweiflung nicht spüren. Hoffnung ist das, was Ihre Mutter am meisten braucht.«
    Matthias nickte schwach und murmelte leise: »Ja. – Danke, Doktor.«
    Der Arzt sah ihn nachdenklich an, und eine Spur von Mitleid zog über sein Gesicht.
    »Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie noch Fragen haben. Aber lassen Sie erst einmal zwei Wochen ins Land gehen, so lange bleibt Ihre Mutter ja mindestens noch hier, und dann sehen wir weiter. Vielleicht gibt es dann schon eine viel genauere und eventuell auch positivere Prognose.«
    Als Matthias den Kopf hob, sah der Arzt, dass Tränen in seinen Augen schwammen.
    »Gehen Sie nach Hause, lenken Sie sich ab, reden Sie mit Freunden oder ruhen Sie sich aus. Ihre Mutter schläft jetzt. Heute Abend können Sie nichts mehr für sie tun.«
    Er drückte noch einmal Matthias’ Arm und entfernte sich. Sein offener Kittel wehte wie ein Königsmantel, als er eilig den Flur entlangschritt.
    Matthias blieb stehen und starrte minutenlang auf die Milchglasscheibe der Tür zur Intensivstation, als überlegte er, ob er einfach hineinstürmen oder die Tür zerschlagen solle.
    Aber dann drehte er sich still um und verließ das Krankenhaus. Wohl wissend, dass er in dieser Nacht weder nach Hause gehen noch eine Minute schlafen würde.
    Ihr Zusammenbruch hatte alles verändert. Nichts würde mehr so sein wie früher.

3
    3
    Er dachte an sie, als wäre sie schon tot. Seine Gedanken rasten, dabei waren es nur wenige Sätze, die sich wie ein immer schneller werdendes Karussell in seinem Kopf drehten. Was soll ich bloß machen ohne sie? Um Himmels willen, was soll ich bloß tun?
    Ihm wurde klar, dass er ohne sie vollkommen hilflos war. Würde er es schaffen, in dem Haus wohnen zu bleiben, in dem er sein gesamtes Leben verbracht hatte und in dem alles, aber auch wirklich alles an sie erinnerte? Vielleicht sollte er lieber verkaufen und sich statt der Villa eine Penthouse-Wohnung anschaffen, mit einem weiten Blick über die Stadt und mit Restaurants, Bars und Geschäften direkt vor der Tür. Dort müsste er nicht immer ins Auto steigen, um zum Theater oder ins Konzert zu fahren, und umgeben von den Lichtern der Stadt würde er sich weniger einsam fühlen.
    Ihm wurde angst und bange, wenn er daran dachte, dass er sich jetzt mit der Pflegeversicherung (hatte sie so etwas überhaupt?) und Pflegekräften herumärgern musste, die sich um seine Mutter kümmern und im Haus ein und aus gehen würden. Eine scheußliche Vorstellung.
    Ludmilla, die russische Putzfrau, die einmal in der Woche für acht Stunden kam, das gesamte Haus putzte und ununterbrochen vor sich hin summte, ging ihm schon genug auf die Nerven.
    Wenn seine Mutter starb, trat die größte Katastrophe ein, die er sich vorstellen konnte, aber wenn sie ein Pflegefall wurde, war
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