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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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das er vielleicht gern zurückgedacht hätte, kam bei ihm schon lange nicht mehr auf.
    Seit er bei seiner Mutter ausgezogen war und allein lebte, kam Weihnachten in seinem Leben nicht mehr vor, und das hatte er akzeptiert.
    Zielstrebig ging er zu den Spirituosen und suchte nach dem besten Whisky, den er für sein Geld bekommen konnte.
    Er kaufte eine Literflasche für sechsundfünfzig Euro und wurde ganz nervös, weil ihm partout nichts einfiel, was er mit den restlichen sechs Euro machen sollte.
    Schließlich nahm er noch einen kleinen Kaktus im Topf mit, auf dem ein funkelnder goldener Weihnachtsstern steckte, der drei Euro fünfundsiebzig kostete.
    Kein Problem. In seiner Wohnung würde man eben zwei Euro fünfundsiebzig finden.
    Dann ging er nach Hause.
    Das Loft war kalt. Er drehte alle Heizkörper auf und zog sich bis auf T-Shirt und Jeans aus. Für einen Moment stellte er sich ans Fenster und sah hinaus auf das Schneetreiben. Die Flocken waren klein und fest und würden liegen bleiben.
    Er setzte sich aufs Bett und drehte sich eine Zigarette.
    Schade, dass er sich im Supermarkt keine Kerze gekauft hatte. Das wäre jetzt schön gewesen. Aber dann zuckte er die Achseln. Egal. Alles war immer irgendwie egal. Es ging auch so.
    CD s und Zeitschriften wischte er vom Tisch, kritzelte auf den goldenen Kaktus-Stern »Merry Christmas, Mama« und schob ihn in die Mitte des Tisches. Damit sie ihn leichter finden konnte.
    Dann begann er zu trinken.
    Der Whisky schmeckte köstlich. Die ersten winzigen Schlucke brannten in der Kehle, aber je mehr er trank, desto wärmer wurde es in seinem Bauch, und der Alkohol umschmeichelte weich seine Kehle. Dazu schluckte er die Tabletten. Er hatte so viele im Internet bestellt, dass sie für mehrere Aktionen dieser Art gereicht hätten.
    Bestimmt eine halbe Stunde lang spürte er gar nichts. Es war alles wunderbar, die Welt war in Ordnung, sein Kopf war klar, er war noch nicht einmal betrunken.
    Und dann dachte er an seinen Vater. Matthias. Von der »Prinzessin« hatten sie vor Gericht gesprochen. Sein ganzes Leben lang hatte er nur den einen Wunsch gehabt, der Freund seines Vaters zu sein. Der beste Freund. Und er versuchte, darüber nachzudenken, warum das nicht möglich gewesen war. Aber er schaffte es nicht mehr. Seine Gedanken wurden undeutlich, verwirrten sich und verschwammen immer mehr …
    Ich liebe dich doch, Papa war das Letzte, was er denken und fühlen konnte, bevor er einschlief und sein Dasein im Nebel verschwand.
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