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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin
Autoren: Heyne
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ausschlief, erschien er statt zum Frühstück immer erst zum Mittagessen. Die Schule hasste er vor allem, weil sie um acht Uhr anfing und er dreizehn Jahre lang um halb sieben aufstehen musste. Vielleicht wäre er gern zur Schule gegangen, wenn sie mittags begonnen hätte, vielleicht wäre er dann ein besserer Schüler gewesen und hätte nicht die meiste Unterrichtszeit verträumt und verdöst, vielleicht hätte er sogar Freunde gehabt und eine fröhlichere Kindheit. Tausendmal vielleicht. Aber so war eben alles anders gekommen.
    Mit Pauken und Trompeten fiel er durchs Abitur, denn Klausuren und mündliche Prüfungen begannen nun mal um acht Uhr morgens, und um diese Zeit war Matthias einfach noch nicht wach. Auch nicht, wenn es darauf ankam.
    Nur um dem ewigen Gezeter seiner Mutter ein Ende zu machen und seine Ruhe zu haben, versuchte er es noch einmal, allerdings wieder ohne Erfolg. Dann hatte er es endgültig satt und ging von der Schule ab.
    Er war eben ein Nachtmensch. Anders als alle anderen. Und darauf war er sogar stolz.
    Im Urlaub ließ er die Jalousien herunter, verschlief den Tag und ging erst bei Dunkelheit auf die Straße. So ein Leben war für ihn perfekt. Erholung pur.
    An diesem Vormittag erwachte er für seine Verhältnisse relativ früh, es war erst kurz nach elf, und er fühlte sich alles andere als ausgeruht. Aber er wusste, dass es jetzt keinen Zweck hatte, noch zwei Stunden zu schlafen, denn er hatte bereits um fünfzehn Uhr einen wichtigen Termin mit einem gewissen Dr. Hersfeld, Manager eines Elektrokonzerns, der für sich, seine Frau, Sohn und Tochter ein neues Domizil in Berlin suchte. Geld spielte bei der Suche die geringste Rolle, problematisch war allerdings, dass sich die Familie nicht einig war, ob sie lieber eine Villa mit Garten oder eine repräsentative Stadtwohnung mit Dachterrasse bevorzugte. Matthias machte sich auf ein langwieriges Hin und Her gefasst, und das war auch etwas, was er hasste: Leute, die sich nicht entscheiden konnten.
    Mit der Fernbedienung am Bett fuhr er das Rückenteil seiner Matratze hoch, um erst einmal zu sich zu kommen. Fast jeden Morgen hatte er im Liegen leichte Kopfschmerzen, die aber verschwanden, wenn er zehn Minuten aufrecht saß. Mit einer zweiten Fernbedienung öffnete er nun die doppelseitig genähten, schweren Seidenvorhänge. Er mochte das Geräusch, wenn sie über den Parkettfußboden schwungvoll zur Seite rauschten, aber als Tageslicht das Zimmer durchflutete, schloss er leicht angewidert die Augen.
    In Gedanken ging er alles durch, was an diesem Tag zu erledigen war. Er musste zur Bank, seine Mutter beim Friseur absetzen, kurz im Büro nach dem Rechten sehen und dann zum Termin mit Hersfeld. Zwei exklusive Objekte hatte er anzubieten, das konnte drei oder mehr Stunden in Anspruch nehmen. Je nachdem ob die Kunden zügig die Wohnung durchschritten, in jeden Raum nur einen flüchtigen Blick warfen und sich ein rein gefühlsmäßiges Urteil bildeten, oder ob sie sich in jedem Zimmer eine halbe Stunde aufhielten, alles misstrauisch begutachteten, befühlten und selbst zur Fliege an der Wand noch fünfundzwanzig Fragen hatten.
    Matthias streckte sich, spreizte die Finger und ballte sie anschließend zur Faust. Das tat er zehnmal, dann zog er die Beine an und drehte sich aus dem Bett. Die Kopfschmerzen waren fast weg, der letzte Rest würde unter der Dusche verschwinden.
    Auf dem Läufer vor dem Bett machte er zehn Kniebeugen, drehte anschließend erst den Kopf, dann die Schulter, dann den Oberkörper, beugte sich mit gestreckten Beinen, so tief es ging, zu Boden, schwang die Hüften zehnmal nach links und zehnmal nach rechts und tänzelte ins Bad.
    Dort schaltete er die Musikanlage an und beschallte mit Verdi die gesamte Wohnung. Seine Mutter, die unter ihm wohnte, störte es nicht, sie war leicht taub und ohnehin seit sechs wach. Preußisch stand sie seit einigen Jahren jeden Morgen pünktlich um sieben auf.
    Seine Prozedur im Badezimmer dauerte fünfundvierzig Minuten. Duschen, abtrocknen, sorgfältig eincremen, Haare föhnen und leicht gelen, aber nur so, dass es nicht fettig wirkte, was bei blonden Haaren leicht passieren konnte. Zum Abschluss trug er noch ein transparentes Make-up auf, das bisher noch nie jemandem aufgefallen war, aber einen frischen, ebenmäßigen Teint erzeugte, und zog vorsichtig mit einem Kajalstift die Augenbrauen nach, die ihm immer zu blond und unmännlich erschienen waren.
    Frische Unterwäsche, ein gebügeltes Hemd,
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