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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen
Autoren: Phil Rickman
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1   Etwas Besonderes
    Inzwischen ging es Jane richtig auf die Nerven, es verfolgte sie in ihren Träumen und zog ihre Gedanken auf sich, sobald sie morgens aufwachte. Wie es eben ist, wenn man niemanden – echt
gar niemanden
– hat, mit dem man über seine Probleme reden kann.
    Ich bin sechzehn Jahre alt, und ich bin   …
    Mit einem Gefühl vollkommener Isoliertheit verließ Jane das Schulgebäude mit seinem bitteren, schweißigen Angstgeruch und trat in den sonnenbeschienenen Hof, wo sich Scott Eagles und Sigourney Jones direkt unter dem Fenster des Lehrerzimmers feucht und heftig abknutschten.
    Die große Zurschaustellung. Auf diese Weise nämlich erklärten Jones und Eagles den armseligen Pennern im Lehrerzimmer, dass die GCS E-Prüfung in Englisch, die Jane und ein paar andere gerade absolviert hatten, genau wie die GCS E-Prüfungen in sämtlichen anderen Fächern – auf die der Schulunterricht der vergangenen fünf Jahre hingeführt hatte – im Vergleich zu ihrer unglaublichen Liebe und Leidenschaft praktisch null Bedeutung hatte.
    Beide hatten schon diverse Erfahrungen in der Horizontalen gesammelt, bevor sie zusammengekommen waren, und sahen jetzt in ihrer Beziehung etwas unheimlich Langfristiges und Bedeutsames. Womöglich würden sie sogar für den Rest ihres Lebens zusammenbleiben. Tolle Sache, das.
    Dagegen fühlte sich Jane, als würde sie einer anderen Spezies angehören.
Sechzehn Jahre alt und   …
    Sie schloss kurz die Augen, um den Anblick dieses über alles erhabenen Liebespaares auszublenden, das aussah wie mit Sekundenkleber verbunden. Dann verließ sie langsam den geschmacklosen Ziegel-Beton-Bau aus den sechziger Jahren und ging in den asphaltierten Schulhof, den der Direktor hochtrabend Kolleghof nannte. Sie musste hier weg, und zwar auf der Stelle. Und trotzdem wünschte sie sich gleichzeitig, das Schuljahr würde noch ein paar Wochen länger dauern.
    «Und, wie ist es bei dir gelaufen, Jane?»
    «Was?»
    Sie fuhr herum. Die Sonne blendete. Vor Jane tauchte Candida Butler auf, groß und cool, jeder Zoll eine Schulsprecherin. So wirkte sie vermutlich schon, seit sie zehn Jahre alt war.
    «Die Prüfung, Jane.» Candida verzog das Gesicht angesichts der Show, die Jones und Eagle abzogen. Ihr eigener Freund studierte in Cambridge Astrophysik. Er war schon älter, das war klar. Candida – die garantiert niemals von irgendwem Candy genannt werden würde – war ernsthaft und zielstrebig, und das ganz bewusst.
    «Die Aufsatzthemen waren allesamt furchtbar», sagte Jane.
    «Findest du?», fragte Candida mit milder Überraschung. Sie hatte sich wohl für das risikofreie und nichtssagende Thema
Der Dachboden meiner Großmutter
entschieden. «Na ja, Hauptsache, wir haben wieder eine Prüfung hinter uns.» Sie sah mit einem sanften Erwachsenenlächeln auf Jane herab. «Und? Was machst du in den Sommerferien?»
    Die Sonne fiel wie ein Laserstrahl auf die Spiegelglastüren des neuen Anbaus für die naturkundlichen Fächer. Danny Gittoes und Dean Wall, die wahrscheinlich nicht mal die Buchstaben «GCSE» in der richtigen Reihenfolge aufsagen konnten, kamen aus derToilettentür und zerrten sich grinsend die Schulkrawatten vom Hals. Sie bereiteten sich auf ihre nächste Wette vor, bei der es darum ging, wer von ihnen im
Royal Oak
bedient werden würde, wo sich gelegentlich die Lehrer auf ein Glas zusammensetzten. Es war klar, dass diese beiden im Herbst nicht in die Schule zurückkehren würden, um mit der Oberstufe weiterzumachen.
    Jane wünschte sich, es wäre schon Winter. Sie wünschte, sie könnte sich die nächsten sechs Wochen mit einem Stapel guter Bücher auf ihren eigenen Dachboden zurückziehen, zwischen die wie von Mondrian gestalteten, farbigen Wände dort.
    Ich bin sechzehn Jahre alt, und ich bin eine alte Jungfer.
    «Ich fahre ein paar Wochen weg», sagte sie kläglich. «Mit meinem Freund. Seine Eltern haben ein Ferienhaus.»
    Vom Rand des Schulhofs aus, wo sich der Sportplatz anschloss, hatte man einen weiten Blick über offenes Land bis hin zu den Black Mountains am Horizont.
    Hinter den Bergen lag Wales, ein anderes Land.
    Eirions Land.
    Und ganz am Ende dieses Landes, vermutlich mindestens hundertfünfzig Kilometer entfernt, lag die Küste von Pembrokeshire, wo Eirions Eltern ihr «Feriencottage» mit den fünf Schlafzimmern hatten. Wo man surfen und den berühmten Küstenweg entlangwandern und seine Jungfräulichkeit verlieren konnte. All so was eben.
    «Du Glückspilz», sagte
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