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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch
Autoren: Sabine Jörg
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euch verabredet?«
    Da plötzlich setzt Sandra Mucki in den Stall zurück und schließt die Balkontür. Während sie an ihrer Mutter vorbeiläuft, ruft sie mit der größten Selbstverständlichkeit: »Ich gehe gleich zu Hanna. Ich esse bei ihr zu Mittag!« Und schon fällt die Wohnungstür ins Schloß. Sandra nimmt drei Stufen auf einmal. Sie rennt die
    Straße entlang, als würde sie gejagt. Sie überquert die Plinganserstraße, erreicht nach wenigen Minuten den Gotzinger Platz, biegt zielstrebig in die Königsdorfer Straße ein, so als hätte sie diesen Weg schon hundertmal zurückgelegt. Der Weg zu Hanna ist das jedoch nicht.
    Sandra hält erst inne, als das Heizkraftwerk schon vor ihr emporragt, und erst jetzt beginnt sie zu denken: Was soll ich eigentlich sagen? Ich sage, die Wimmer hätte mich geschickt, damit er die Hausaufgaben machen kann. Ob er mir das glaubt? Hoffentlich ist er nicht sehr krank. Vielleicht kann ich ihm von der Deutschstunde erzählen. Ich würde ihm auch helfen in Deutsch, aber das will er bestimmt nicht. In letzter Zeit ist er sowieso leicht aufbrausend.
    Sandra betritt das alte Haus. Der Flur ist dunkel und kühl. Irgendwie riecht es nach Äpfeln. Sandras Augen gewöhnen sich allmählich an das gedämpfte Licht. Sie steigt die ausgetretenen Holzstufen hoch. Bei jedem Schritt hört sie eine innere Stimme: Noch kannst du umkehren, noch kannst du weglaufen.
    Aber Sandra läuft nicht weg. Stufe für Stufe geht sie weiter und erreicht schließlich den dritten Stock. Das kleine Zetteichen neben der Tür sieht sie sofort: Ramirez. Die Tür ist nur angelehnt, eine Klingel gibt es nicht. Während Sandra noch überlegt, ob sie klopfen soll, hört sie von drinnen eine Stimme:
    »Felipe!«
    Sandra pocht an die Tür. Aber offenbar bemerkt sie niemand. Die Stimme fährt fort, in einer fremden Sprache zu reden. Sandra klopft noch einmal, jetzt fester. Da öffnet sich die Tür. Eine kleine, etwas rundliche, schwarzhaarige Frau steht Sandra gegenüber. Sie lächelt und sagt ein paar Worte: »Para nosohos estan las poertas abiertas. Tu puedes entrar.«
    Als sie Sandras verständnisloses Gesicht sieht, nimmt sie das Mädchen am Arm und führt es in die Wohnung hinein. Sie lächelt noch immer, und auf deutsch fügt sie hinzu: »Geh mit!«
    Sandra will gerade zu einer Erklärung über ihren Besuch ausholen, da kommt ein Junge in Socken den Flur entlanggerutscht. Direkt vor Sandra macht er halt und sagt ganz unbefangen: »Hallo, ich bin Felipe.« Felipe ist eindeutig jünger als Ronni, aber viel kräftiger. Wie sein Bruder hat er leicht gewellte schwarze Haare und eine glatte braungetönte Haut.
    Die Mutter redet spanisch auf Felipe ein, und er redet auf Sandra ein:
    »Weißt du, meine Mutter spricht nicht so gut Deutsch. Aber ich kann alles übersetzen. Ich bin der Beste in unserer Familie. Ißt du mit uns zu Mittag?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, geht Felipe in die Küche, holt noch einen Teller und eine Gabel aus dem Schrank und winkt Sandra herein.
    Sandra ist erleichtert. So einfach und so herzlich geht das hier zu. Ob Ronni im Bett liegt und nicht aufstehen darf? Sandra gibt sich einen Ruck und sagt: »Ich wollte Ronni die Hausaufgaben bringen. Ist er sehr krank?« Felipe sieht Sandra erstaunt an. »Krank?« fragt er ungläubig. Langsam, so als würde er beginnen, etwas zu begreifen, fügt er hinzu: »Nein, ich glaube nicht.« Felipes Mutter hantiert mit der Pfanne am Herd herum. Sie hat wohl nicht genau zugehört. »Ronni nach escuela, nach Schule, zu amigo. In diesem Momenta, er ist nicht hier«, erklärt sie. »Aha«, antwortet Sandra und versteht überhaupt nichts mehr.
    Die Tortillas sind vorzüglich. Sandra sitzt mit Felipe und seiner Mutter am Tisch, als wären sie alte Freunde. Sandra redet einfach drauflos, Frau Ramirez nickt, obwohl sie nicht viel versteht. Felipe wird langweilig, und er lenkt Sandras Aufmerksamkeit auf seinen Papierflieger: »Schau mal, den hab ich selbst gebaut. Der saust wie ein Blitz.« Sandra bewundert den Flieger und vergißt - ausgerechnet hier - für eine Weile den, um den seit Tagen ihre Gedanken kreisen: Ronni.
    Felipe ist glücklich, eine geduldige Bewunderin seiner Flugkünste gefunden zu haben. »Komm mit. Ich zeige dir, wie man das Papier knickt!«
    Sandra folgt ihm. Was, das soll Felipes Zimmer sein? Eine Speisekammer ist das, Bett, Hängeregal, mehr nicht. Mehr hätte auch nicht Platz. Sandra beschleicht ein unangenehmes Gefühl. Wenn sie an ihr schönes
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