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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch
Autoren: Sabine Jörg
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1

    Neben dem Heizkraftwerk wirkt das Haus mit Albertos italienischem Café wie ein Spielzeugwürfel. Der Schornstein wirft einen mächtigen Schatten auf die Markisen. Doch den Menschen, die hier täglich ein und aus gehen, fällt das kaum mehr auf. Sie genießen das beste Eis, das es weit und breit gibt, und manch einer fühlt sich bei Alberto mehr zu Hause als in den eigenen vier Wänden. Am Eis allein kann das nicht liegen, an den harten Stühlen wohl auch nicht und erst recht nicht an der schäbigen alten Theke. Nein, es liegt an Alberto selbst.
    Alberto kennt seine Gäste. Er kann zuhören. Er weiß, wann jemand Trost braucht und auch, wann er besser den Mund hält. Noch etwas ist bei Alberto anders als in anderen Cafés: Bei ihm dürfen Kinder fast alles und bekommen manches ganz umsonst. Klar, daß Alberto dabei nicht reich wird. Aber das will er wohl auch gar nicht.
    Es ist noch früh. Alberto steht auf der Straße und putzt das große Fenster. Durch die Scheibe hindurch beobachtet er seinen einzigen Gast. Alberto kennt den Jungen gut. Er ist dreizehn, ein tüchtiger Kerl, wenn auch für sein Alter etwas schmächtig und klein. Alberto gießt das Schmutzwasser in den Rinnstein und betritt wieder sein Café: »Na, alles paletti, Ronni mio?« Die Antwort kommt zögernd: »Ja, si, si.«
    Alberto und der Junge sprechen gewöhnlich in einem Durcheinander aus Deutsch, Italienisch und Spanisch miteinander und verstehen sich dabei bestens. Heute allerdings zeigt der Junge nichts von seiner Sprachkunst. Statt dessen trinkt er hastig seine Limo aus, rückt umständlich den Stuhl zurück und sagt, ohne Alberto noch einmal anzusehen, nichts weiter als »adios«.
    Unschlüssig verharrt er einen Moment vor der Tür, dann läuft er um so eiliger davon. Alberto sieht dem Jungen besorgt nach und wischt gedankenverloren immer wieder über die alte Theke.

    Zur selben Zeit sitzt etwa siebenhundert Meter weiter ein Mädchen im ersten Stock des Schulhauses. Sie hat sich redlich bemüht, dem Lehrer zuzuhören, der begeistert von den alten Römern erzählt, aber es gelingt ihr nicht. Ihre Gedanken lassen sich nicht bremsen und wandern hinaus aus dem Fenster.
    Das Mädchen ist blond und heißt Sandra. Sandra ist sonst eine gute Schülerin, aber seit drei Tagen ist sie fast ununterbrochen geistesabwesend. Am liebsten würde sie ihren Kopf auf die Bank sinken lassen und laut seufzen. Das tut sie natürlich nicht. Statt dessen sieht Sandra durch das offene Fenster und dann wieder auf den leeren Platz vor ihr. Sie starrt den verkrit-zelten Holzstuhl an, sie betrachtet das Englischbuch unter der Bank und - vor ihrem inneren Auge - sieht sie noch etwas: Ronnis schwarzes Haar, seinen schmalen Rücken und die braunen glatten Hände. Herr Schraml ruft Sandra auf. Sie schaut ihn hilflos an. Hat er etwas gefragt?
    »Gerade von dir hätte ich mehr erwartet.« Das klingt betont vorwurfsvoll. Herr Schraml nimmt Markus dran. Der rasselt die Antwort nur so herunter. Dabei grinst er breit zu Sandra herüber.
    »Mach dir nichts draus«, flüstert Hanna. Sie gibt Sandra einen kleinen Schubs unter der Bank. Hanna ist Sandras beste Freundin. Die beiden sitzen nicht nur in der Schule nebeneinander, sondern verbringen auch die meisten Nachmittage zusammen. Sandra mag Hanna sehr, und es ist heute das erstemal, daß ihr Hanna auf die Nerven geht. Sandra will in Ruhe gelassen werden, sogar von Hanna.
    Als es endlich läutet, hat Sandra es eilig fortzukommen. Hanna ruft ihr noch nach: »Um vier bei mir«, aber Sandra stürmt schon auf den Hof, weg von den anderen, weg von dem leeren Platz vor ihr.

    Zu Hause fragt die Mutter wie immer: »Na, wie war’s?« Sandra murmelt eine Antwort in sich hinein und knallt die Tasche in die Ecke. Sie öffnet die Balkontür, um Mucki, das Zwergkaninchen, aus seinem Stall zu holen. Mucki läßt sich von Sandra gerne streicheln, und Sandra tut das ausgiebig, sooft sie kann.
    Die Mutter ist mit Sandras Gemurmel nicht zufrieden. »Meiner Kleinen scheint’s heute nicht gutzugehen?« Als Sandra keine Antwort gibt, wird die Mutter deutlich: »Was ist los?«
    Alles kann Sandra ertragen, nur nicht, wenn ihre Mutter anfängt zu bohren. Kein Mensch kann immer den ausgelassenen Clown spielen. Warum begreift sie das bloß nicht?
    Die Mutter läßt nicht locker: »Aber du wirst jetzt schön essen, nicht wahr?«
    »Hm.«
    »Gehst du heute zu Hanna?«
    Je einsilbiger Sandra ist, um so wißbegieriger wird ihre Mutter: »Für wann habt ihr
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