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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch
Autoren: Sabine Jörg
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Da hätte ich nicht so viele Schwierigkeiten, meint sie. Die lassen überhaupt nicht mit sich reden. Ich habe schon alles versucht.«
    »Und Felipe?«
    »Der ist plötzlich ganz begeistert. Dem kann es gar nicht schnell genug gehen. Der freut sich auf den Flug und auf den Opa.«
    Sandra setzt sich in den Sessel, in dem Ronni vorher gesessen hat. Der alte knorrige Apfelbaum streckt seine Blätter bis ans Fenster.
    »Wann fliegt ihr?«
    »In einer Woche.«
    Sandra schluckt. »Und wo wohnt ihr dann?«
    »Mamas Schwester sucht eine Wohnung für uns. Zuerst bleiben wir bei ihr. Die ganze Verwandtschaft wird kommen, um uns zu sehen. Sie werden essen und lachen und feiern, mir auf die Schulter klopfen, aber ich will nicht.«
    Auf Ronnis Stirn hat sich eine waagrechte Falte gebildet. »Verstehst du das? In der Schule werden sie mich ausfragen, wo wir denn herkommen und was jetzt los ist mit meinem Vater. Das alles noch einmal!«
    Sandra versucht etwas Tröstendes zu sagen, aber in ihrer Hilflosigkeit bleibt sie stumm.
    »Ich gehöre nicht mehr nach Chile. Ich bin jetzt Deutscher!«
    Er sieht sie fast trotzig an.

20

    Entweder macht die Vergangenheit alles kaputt, oder die Zukunft steht drohend vor der Tür. Der baldige Abschied wirft einen Schatten auf die ganze Woche. Ronni und Sandra sind hin- und hergeworfen zwischen der Freude über das augenblickliche Zusammensein und dem Kummer über die Trennung. Ronni sträubt sich mit allen Fasern seines Körpers gegen die Rückkehr nach Chile. Was für die Eltern das letzte Signal war, die Heimkehr zu beschleunigen, nämlich die zerbrochene Schaufensterscheibe, war für ihn in Wirklichkeit der Neubeginn hier. Aber wie könnte er ihnen das begreiflich machen?
    Sandra sammelt ohne Ronnis Wissen weiter für die Scheibe, es läuft etwas zäher mit den Spenden, aber sie macht sich darum jetzt keine Sorgen. Jeden Nachmittag trifft sie sich mit Ronni, und einmal bringt sie ihn sogar mit nach Hause. Das Wort Asylant ist an dem Abend bei Hanna offenbar nicht mehr gefallen, auf jeden Fall finden Körners die Familie Ramirez ganz reizend, und die bevorstehende Abreise nach Chile macht sie in ihren Augen anscheinend noch reizender. Sandra streift mit Ronni durch die Straßen und Gassen, und wenn sie das Gefühl hat, daß es ihm ganz schlecht geht, dann geht sie mit ihm zu Alberto. Alberto setzt sich zu ihnen an den Tisch, er läßt andere Gäste warten, um sich von Ronni erklären zu lassen, wo genau Valparaíso liegt und wie das Wetter dort im Winter, also in unserem Sommer, ist. Eines Tages werde er mit einem Schiff, wahrscheinlich als Hilfsarbeiter an Bord eines Bananendampfers, in Valparaíso einlaufen, dessen sei er ganz sicher, sagt Alberto. Dann müsse Ronni ihm einen Job vermitteln. Vielleicht könne er dort eine kleine Eckkneipe aufmachen, für Fernfahrer und heimatlose Italiener. Solche Geschichten erzählt Alberto, und jeden Tag fällt ihm etwas Neues ein.
    Außer von Alberto will Ronni sich von niemandem verabschieden. Er ist auch nicht in der Lage, zu Hause beim Packen zu helfen. Salvador hat Urlaub genommen. Er muß mehr oder weniger alles allein machen. Während Marie mit Patricio von einer Behörde zur anderen läuft, um sämtliche Stempel, Bestätigungsschreiben und Beglaubigungen zu bekommen, räumt Salvador mit nervös zitternden Händen die Schränke leer. Felipe schreit im Hof, daß es bis zum obersten Stockwerk hallt: »Adios, Alemania!« Ronni aber weicht nicht von Sandras Seite. Zwischen Nicht-wahrhaben-Wollen, ohnmächtiger Wut und hoffnungslosem Traurigsein schwanken seine Gefühle. Der Tag des Abflugs rückt unaufhaltsam näher...
    Sogar von seinem großen Bruder fühlt Ronni sich im Stich gelassen. Patricio, der immer so väterlich seinen Geschwistern beigestanden hat, will oder kann Ronni jetzt nicht verstehen. »Genauso alt wie du bist, war ich, als wir hierherkamen. Ich habe es auch geschafft. Du mußt gehen!« Das ist alles, was er zu sagen hat. Dann widmet er sich wieder den Formularen, die nicht nur für Ausländer schwer zu verstehen sind. Er verliert kein Wort darüber, daß er hierbleiben muß, daß ausgerechnet er mit seinem Vater allein zurückbleibt.

    Das Flughafengebäude ist überfüllt mit Menschen, die in eine andere Stadt, in ein anderes Land oder sogar um die halbe Welt wollen. An den Abfertigungsschaltern bilden sich lange Schlangen. Gepäckstücke versperren den Weg, Polizisten gehen auf und ab.
    Marie betritt als erste die Halle. Sie ist kaum
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