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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch
Autoren: Sabine Jörg
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mir wieder gut, wirklich!« Doch es bedarf keiner großartigen Menschenkenntnis, um zu erkennen, daß es ihr überhaupt nicht gutgeht. Und so schnell, wie ihr das lieb wäre, entkommt sie den Eltern auch nicht. »Ronni ist wirklich ein netter Junge«, findet der Vater. »Habt ihr ihn schon kennengelernt?«
    »Ja, Sandra. Es war schön von dir, daß du dich so um ihn gekümmert hast.« Frau Körner sieht ihre Tochter mit einem gewissen Stolz an.
    »Komm dann doch zu dem Tisch beim Balkon, da sitzen auch Herr Voss und Ronnis Vater!«
    »Ja, ich hol mir nur was zu essen.« Und damit läuft
    Sandra in Richtung Wohnzimmer. Doch Ronni findet sie dort nicht mehr.
    Sandra sieht sich genau in alle Richtungen um, aber sie kann Ronni nirgends entdecken. Schließlich lädt sie sich zum Schein einen ganzen Berg von Salat auf den Teller und geht damit unschlüssig wieder nach draußen.
    Herr Voss winkt sie fröhlich herbei, und es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich zu ihren Eltern zu setzen. »Tag, Sandra, lange nicht gesehen!« Während Herr Voss ihr die Hand hinreicht, rutschen Salvador Ramirez und Sandras Vater näher zusammen, um Platz zu machen.
    Auch das noch! Sandra sinkt auf die Bank. Hoffentlich kommt das Gespräch nicht auf Politik! Aber selbstverständlich sind die Erwachsenen schon längst bei diesem Thema angelangt. Unterstützt von Herrn Voss, der fließend Spanisch spricht, erklärt Salvador Ramirez, daß es im Dezember 1989 zu den ersten freien Wahlen nach sechzehn Jahren Diktatur kam und daß dabei das Wahlbündnis der Opposition siegte. Nun ist Patricio Aylwin neuer Präsident von Chile. Die Menschen hoffen, daß die Pressefreiheit wieder eingeführt wird, daß die Arbeitnehmer aus ihrer Rechtlosigkeit befreit werden, daß es Gesetze für ihre soziale Sicherheit geben wird. Doch der ehemalige Diktator Pinochet bleibt nach wie vor noch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und damit steht - nach Salvadors Meinung - die junge Demokratie auf wackeligen Beinen. Wie frei fühlt man sich schon mit einem Gewehrkolben im Nacken?
    Herr und Frau Körner nicken zu allem, was Salvador Ramirez sagt, interessiert mit den Köpfen. Aber Sandra rutscht nervös auf der Bank hin und her. Wenn bloß das Wort Asylant nicht fällt, hofft sie inständig. Sie sieht Herrn Voss an. Der könnte das Gespräch auf etwas anderes bringen, aber Herr Voss kann natürlich nicht Gedanken lesen, und so gibt er der Unterhaltung genau die Wendung, die Sandra vermeiden wollte. Er kommt auf die Familie Ramirez persönlich zu sprechen: »Und wie geht’s bei Ihnen weiter?«
    Salvador Ramirez versucht es lustig darzustellen: »Ich schicke meine Frau und zwei Kinder schon mal vor! Ich selbst werde noch gebraucht, bei Siemens.« Salvador lacht. Zum Glück haben nicht alle am Tisch seine Ironie verstanden.
    »Ach, geht Ihre Frau schon nach Chile zurück?« Frau Körner ist fast enttäuscht.
    »Ja, großes Heimweh!« Salvador lächelt sein schwermütiges Lächeln.
    In diesem Augenblick ruft Hanna vom Balkon herunter: »Sandra, komm mal schnell!«
    »Kind, du hast ja noch gar nichts gegessen!« Frau Körner sieht ihre Tochter besorgt an. Aber Sandra springt auf. »Später«, sagt sie und läuft zu Hanna.
    »Sag mal, willst du den ganzen Abend mit den Erwachsenen verbringen?« Hanna nimmt ihre Freundin am Arm und führt sie in die richtige Richtung: »Ronni hängt da allein in Tobias’ Zimmer rum und hört Musik!«
    Während Hanna in der Küche verschwindet, klopft Sandra zaghaft an die Tür des Kinderzimmers und öffnet sie dann. Ronni sitzt im Sessel und schaut aus dem Fenster.
    »Ronni?«
    »Ja?«
    Sandra holt tief Luft: »Es ist schade, daß ihr weggeht.« Er dreht sich zu ihr um. Sandra sieht, daß er geweint hat. Einen traurigen Ronni, das erträgt sie nicht, es schnürt ihr die Kehle zu. Sie will etwas sagen, aber da schießen auch schon die Tränen hervor.
    Er nimmt sie in den Arm und hält sie fest.
    Dann gelingt es ihnen doch noch, miteinander zu sprechen.
    »Vor vierzehn Tagen wäre ich freiwillig überallhin gegangen. Meinetwegen hätten wir auf den Nordpol ziehen können, das wäre mir ganz egal gewesen. Aber jetzt will ich nicht mehr weg!«
    »Kannst du denn nicht einfach hierbleiben? Patricio bleibt doch auch da.«
    »Aber mein Vater und Patricio kommen irgendwann nach. Und den Flug bekommt Mama nur bezahlt, wenn ich jetzt mitfliege. Außerdem würde sie mich nie allein hierlassen. Sie will auch, daß ich in eine chilenische Schule gehe.
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