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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch
Autoren: Sabine Jörg
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wiederzuerkennen, so schön wirkt sie in ihrem hellblauen leichten Kleid. Sie hat sich das Haar hochgesteckt, die Lippen geschminkt und trägt Ohrringe. Ohne erkennbare Aufregung sucht sie nach dem richtigen Schalter. Hinter ihr schleppt Patricio zwei riesige Koffer herein, gefolgt von Salvador, der ebenfalls vollbepackt ist. Bleich und stumm trägt er Taschen und Kartons, sieht nicht nach rechts oder links. Felipe durchbricht die Spannung. Er turnt zwischen Vater und Bruder hindurch und fällt seiner Mutter vor Freude um den Hals. Er hat einen kleinen Rucksack auf dem Rücken, aus dem ein hellblauer Plüschbär herausschaut. Noch nie hat er so viel geschenkt bekommen wie in den letzten vierzehn Tagen vor der Abreise. Übermütig hüpft er auf und ab und lacht und winkt auch völlig fremden Menschen zu.
    Als letzter kommt Ronni, dünn und blaß. Vor der automatischen Glastür, die sich vor ihm öffnet, bleibt er stehen und dreht sich noch einmal um.
    Hannas Eltern suchen einen Parkplatz. Sie haben in ihrem Kombi einen Teil des Gepäcks - und außerdem auch Sandra und Hanna - hergebracht. Chilenische Freunde sind auch gekommen, um Abschied zu nehmen, und sogar Huynh, der vietnamesische Junge, ist da.
    Daß Alberto kommt, wollte Ronni nicht, und auch Sandra sagte er, sie solle auf keinen Fall am Flughafen auftauchen. Aber Sandra entgegnete ihm gleich, daß sie mit hundertprozentiger Sicherheit dasein werde. Vielleicht wäre sie doch besser nicht gekommen. Stumm steht sie neben Ronni, aber sie sehen sich nicht an. Das Gepäck hat Übergewicht. Patricio muß einen Teil aus den Koffern wieder herausholen, versucht einiges umzuschichten, ins Handgepäck zu stopfen. Salvador geht ruhelos auf und ab. Er wechselt ein paar Worte mit seiner Frau, die als einzige von der allgemeinen Nervosität nicht angesteckt zu sein scheint. Sie sieht ihrem Mann in die Augen, als wolle sie sich ihm in ihrer ganzen Schönheit ins Gedächtnis einprägen. Sie ermahnt Felipe, nicht so weit wegzulaufen, und scherzt mit Sandra: »Vielleicht ich bekomme blonde Schwiegertochter! Mein Mann mag blonde Frauen sehr.«
    Frau Voss wendet sich an Patricio: »Komm uns doch mal besuchen, wenn du Lust hast!«
    »Ja, sehr gerne, solange ich noch hier bin.«
    »Wie, wirst du uns auch verlassen?« fragt Herr Voss. »Wenn ich habe meine Lehre zu Ende, ich gehen vielleicht in die USA.«
    Das versteht Hanna nicht: »Dann ist eure Familie ja völlig auseinandergerissen!«
    »Unsere Familie ist schon kaputt, als mein Vater hierherkam«, antwortet Patricio trocken. »Jetzt jeder muß sehen, wo er bleibt.«
    »Aber dann mußt du ja noch eine neue Sprache lernen.«
    »Ach, Englisch ist nicht so schwer.«
    Die Maschine wird aufgerufen. Hannas Eltern verabschieden sich zuerst und warten dann im Hintergrund. Die chilenischen Freunde, Huynh, alle geben gute Wünsche mit auf den Weg. Umarmungen und Küsse und wieder Umarmungen. Patricios Augen werden feucht. Seine Mama, die er umsorgt hat wie ein Mann, seine geliebte Mama geht, und keiner kann sagen, wann sie sich Wiedersehen werden. Ein letztes Mal nimmt Patricio Felipe auf den Arm. Felipe flüstert ihm ins Ohr: »Eine Freundin suche ich dir in Chile«, und gibt dem großen Bruder einen Kuß auf die Backe. Marie, die scheinbar so Starke, weint plötzlich los. Sie
    läßt sich auf einen der Ledersessel vor der Anzeigetafel fallen, wird geschüttelt von Weinkrämpfen. Salvador beugt sich aufgeregt zu ihr hinunter, Patricio schlägt die Hände vors Gesicht, Felipe heult, aber Ronni und Sandra stehen einfach da, als wollten sie den Rest ihres Lebens auf diesem Fleckchen verbringen.
    Die beiden grünen Lichter auf der Anzeigetafel blinken abwechselnd auf. Salvador mahnt zur Eile. Marie reißt sich zusammen, Felipe bleibt dicht bei ihr. Endlich steckt Sandra Ronni ein Briefchen zu.
    »Schreibst du mir?« fragt er.
    »Ja«, antwortet sie.

    Lieber Ronni!

    Was Du sicher nicht geahnt hast: Ich hatte mir so lange schon gewünscht, daß wir Freunde werden. Jetzt sind wir richtige Freunde. Ich kann es kaum glauben, so schön ist das. Vielleicht ist die Entfernung überhaupt nicht so wichtig. Für mich bist Du immer ganz nah. Morgen schreibe ich Dir wieder.
    Te quiero mucho.
    Deine Sandra
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