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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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Reihenhaussiedlung hochgezogen. Was Ihr Mann nicht, Hillerich jedoch sehr wohl wusste: Der Boden, auf dem die Siedlung stand, war mit den giftigen Abfällen einer Lackfabrik verseucht. Als Ihr Mann davon Wind bekam, war er empört. Nicht nur, weil er die Regressforderungen der Bewohner fürchtete, sondern auch, weil er nicht wollte, dass sich spielende Kinder vergiften.«
    Wilma Pobradt war zu einem Häufchen Elend zusammengesackt. Ihre Würde reichte gerade noch aus, um nicht an den Fingernägeln zu knabbern. Hier war sie, meine große Stunde. Bislang hatten mich alle für ein Sofakissen gehalten, dem man den passenden Knick beibringen durfte. Damit war jetzt Schluss! Georg Wilsberg, der souveräne Privatdetektiv, sagte: »Und jetzt kommt der Clou, gnädige Frau: Karl Pobradt schreibt einen Brief an Kurt Hillerich, in dem er droht, die Geschichte öffentlich zu machen. Hillerich hätte am Pranger gestanden, seine Geschäfte und sein öffentliches Ansehen wären futsch gewesen. Doch ein paar Stunden später ist Karl Pobradt tot. Selbstmord wegen Ehekrise. Ein Mann, der morgens einen öffentlichen Skandal plant, überlegt sich mittags, dass er freiwillig aus dem Leben scheidet? Nicht besonders glaubwürdig, wie?«
    Ich starrte sie triumphierend an. Wenn das keine Zange war, in der ich sie hatte, wollte ich fortan Bugs Bunny heißen und Mohrrüben kauen.
    Die Sekunden tröpfelten wie Essig auf ihre Wunden. Langsam hob sie den Kopf und guckte mich an. Das heißt, eigentlich guckte sie auf die drei Tannen, die irgendwo in meinem Rücken standen.
    »Hillerich war's«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Hillerich hat meinen Mann umgebracht.« Sie fasste sich und sprach jetzt fester: »Karl hatte am Morgen mit ihm telefoniert. Hillerich kam vorbei und sie stritten sich eine halbe Stunde. Dann fiel der Schuss.«
    »Und wie hat er Sie rumgekriegt, bei der Sache mitzumachen?«, erkundigte ich mich.
    »Er wusste, dass die Ehe für mich die Hölle war. Er bot mir eine große Summe Geld. Ich setzte mich hin und schrieb die beiden Abschiedsbriefe. Runze hat er natürlich auch bestochen. Und Merschmann.«

XVI
     
     
    Die Geschichte gefiel mir nicht, sie gefiel mir überhaupt nicht. Während mir frischer Fahrtwind um die Ohren blies, begann mein Gehirn klarer zu denken. Und je länger ich über Wilma Pobradts Geschichte nachdachte, desto weniger gefiel sie mir.
    Hinter der ehemaligen Pädagogischen Hochschule stieg ich vom Rad und probierte nacheinander drei Telefonzellen, bis ich eine fand, die einen intakten Telefonhörer besaß und trotzdem mein Geld annahm. Kurz war noch immer zu Hause. Langsam begann ich, ihm gegenüber so etwas wie Dankbarkeit zu empfinden.
    »Sie sagen, sie reißen dir den Arsch auf, wenn du dich nicht sofort stellst«, sagte er mit einer gewissen Häme in der Stimme.
    »Jaja. Was ist mit der anderen Sache?«
    »Ach so. Es herrschte eisiges Schweigen, als ich die Frage in den Raum stellte, wer denn wohl angerufen habe. Als ich dann noch deine Theorie …«
    »Hör mal, ich hab gesagt, du sollst das mit Nachdruck vorbringen.«
    »Na klar, ich habe geredet wie Otto Schily bei einem RAF-Prozess.«
    Ich stöhnte.
    »Ob das was genutzt hat, weiß ich allerdings nicht. Sie stellten mir immer die Gegenfrage, wo du seist. Und dass ich auch als Anwalt keinen Mordverdächtigen decken dürfe und all den Quatsch, den Bullen erzählen, wenn sie sich bedeckt halten wollen.«
    »Mit anderen Worten: Du hast nichts erreicht.«
    »So würde ich das nicht ausdrücken. Manche Worte fallen erst dann auf fruchtbaren Boden, wenn das Gespräch schon längst beendet ist.«
    Das sind die Tröstungen, die man als Mordverdächtiger von seinem Anwalt bekommt. Auf dem Weg zum elektrischen Stuhl würde er mir erzählen, dass die Chance auf ein Leben nach dem Tod siebzig zu dreißig stünde.
    Als Nächsten rief ich Willi an. Intakte Telefonzellen muss man einfach ausnutzen. Allerdings sollte die Post mal darüber nachdenken, wie sie die Innenbelüftung verbessern kann. Willi holte mich aus dem moralischen Tief, in das mich Kurz geschubst hatte. Er widersprach mir nicht, er gab mir in allem recht, er versprach, so lange Briefmarken zu verkaufen, bis entweder meine Unschuld bewiesen oder die zwanzig Jahre Gefängnis abgesessen waren. Er wollte sogar meine arme alte Mutter anrufen, um sie schonend auf die drohende Tragödie vorzubereiten, was ich ihm jedoch verbot. Bevor nicht das Urteil gesprochen war, sollte sie nichts von der Sache
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