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Der zehnte Planet

Der zehnte Planet

Titel: Der zehnte Planet
Autoren: Sergej Beljajew
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I
    Gegen Abend des 20. Dezember 1956 hatte sich das Wetter endgültig verschlechtert. Graue Wolken hingen niedrig über dem Gebäude des Astronomischen Hauptinstituts. Der kalte Rauhreif stand wie ein leichter, durchsichtiger Nebel draußen vor den Fenstern des Arbeitszimmers des Direktors.
    Michail Sergejewitsch telephonierte nach Hause, man solle zum Abendessen nicht auf ihn warten, legte leise den Hörer auf und trat ans Fenster. Er vernahm das grimmige Heulen des herbstlichen Windes, das vom Strand her kam. Der Nebel wurde immer dichter. Einzelne Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheiben und liefen langsam als dünne Wasserfäden herab.
    Michail Sergejewitsch zog sorgfältig an beiden Fenstern des Arbeitszimmers die schweren Samtvorhänge vor.
    Er hatte den Entschluß gefaßt, heute hier zu arbeiten.
    Es war üblich, daß genau um 23.45 Uhr der diensthabende Assistent im Arbeitszimmer erschien und mitteilte, das Auto sei vorgefahren. An dieser Ordnung hielt Michail Sergejewitsch schon sieben Jahre fest und war stolz darauf, indem er die Pedanterie im Alltag gerade für sich als unentbehrlich betrachtete, indessen seine astronomischen Berechnungen durch die elegante Deutlichkeit der Formeln ständig Bewunderung und Begeisterung hervorriefen.
    Die Decke, mit einem massiven Kronleuchter aus Bronze, war in Halbdunkel gehüllt, und das angenehme Licht einer Tischlampe beleuchtete nur das Schreibgerät und die silberne Schreibmappe mit der Widmung:
    »Dem teuren Freund und Lehrer, Mitglied der Akademie der Wissenschaften M. S. Solnzew, dem Direktor des Astronomischen Hauptinstituts, von den ihm in Liebe ergebenen Schülern und Mitarbeitern. 1. Mai 1952.«
    Der Gelehrte liebte es, abends an diesem Tisch zu arbeiten, nachdem die mühevollen Direktorialpflichten des Tages erfüllt waren. Wennder Regen an die Fensterscheiben prasselte, erschien ihm das Zimmer besonders traut und behaglich, und die von ihm so geliebte Arbeit war äußerst verlockend.
    Der Gelehrte ließ sich in den Sessel nieder und drückte auf einen Knopf. Die Tür wurde geöffnet, und auf der Schwelle erschien die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens.
    »Haben Sie gerufen, Michail Sergejewitsch?«
    »Ja«, antwortete der Gelehrte, indem er versuchte, das Gesicht des Mädchens zu erkennen.
    Leicht schritt das Mädchen über den dicken Teppich und näherte sich dem Tisch.
    »Ah«, sagte der Gelehrte freundlich, »heute sind Sie, Tatjana Jurjewna, der diensthabende Assistent? Legen Sie mein Telephon zu sich um. Ich werde, wie immer, bis dreiviertel zwölf arbeiten. Wer hat Dienst im Vestibül?«
    »Portier Jakowlew . . .«
    »Sagen Sie ihm, er soll niemand zu mir hereinlassen. Falls etwas Wichtiges ist, soll er Sie zuerst anrufen, und Sie werden dann schon sehen. Wenn Larion Petrowitsch aus dem Physikalischen Institut anruft, verbinden Sie unverzüglich.«
    »Ich werde alles erledigen.«
    »Ich glaube, das ist alles. Ach ja, wenn Sie sich Ihren Tee gekocht haben, bringen Sie mir doch auch eine Tasse, meine Wohltäterin.«
    »Mit Vergnügen«, lächelte die Assistentin.
    Wenn Solnzew »Wohltäterin« sagte, so bedeutete das — er ist in guter Stimmung, und der Dienst verspricht, ruhig zu verlaufen. Es kam aber auch vor, daß Solnzew plötzlich mitten in der Nacht einen dringenden Auftrag erteilte, alle Diensthabenden wecken ließ und ihnen komplizierte Berechnungen aufbürdete. Am nächsten Morgen erzählte man sich dann im Astronomischen Hauptinstitut schmunzelnd, daß der Chef geruht habe, launisch zu sein.
    In wenigen Minuten wurde eine Tasse Tee, die einen aromatischen Duft verbreitete, auf den Tisch gestellt. Der Gelehrte dankte der Assistentin und fügte hinzu:
    »Ich könnte mich in die Arbeit vertiefen und es vergessen, darum kommen Sie bitte genau um 11 Uhr 45 herein und erinnern mich.«
    »Sie können sich auf mich verlassen, Michail Sergejewitsch, genau um 11 Uhr 45.«
    Kopfnickend entließ der Gelehrte die Assistentin. Sie entfernte sich lautlos und schloß hinter sich die schwere Eichentür.
    Der Gelehrte Solnzew liebte die Astronomie und war stolz auf sie, zumal sie die älteste aller Naturwissenschaften ist. Als er noch Schüler war, machte eine Erzählung des Lehrers über die Struktur des Weltalls auf ihn einen erschütterndenEindruck, und das Universitätsobservatorium, welches ein Teleskop besaß, betrat er das erstemal mit einem Gefühl der Andacht. Jetzt, wo seine Werke über Aufbau, Bewegung und Entwicklung des Sternensystems
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