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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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erfahren. Kurzum, ich fühlte mich nach dem Gespräch mit Willi wie ein Karpfen auf dem Land, dem man einen Eimer Wasser gereicht hat.
    Mit neuem Mut stopfte ich – die wütenden Proteste außerhalb und das Geklopfe an die Glasscheibe missachtend – drei frische Groschen in den Schlitz. Die Luft in der Zelle war nun endgültig verbraucht und Schweiß lief mir übers Gesicht und den Nacken herunter. Ich gab mich als Albert Droste-Hülshoff aus und schaffte es tatsächlich, bis zu Stürzenbecher vorzudringen.
    »Wo bist du?«, fragte er zur Begrüßung.
    »Lass den Scheiß!«, sagte ich. »Auch keine Fangschaltungsmätzchen, bitte. Ich habe nur eine Frage: Wer hat euch angerufen gestern Abend?«
    »Warum sollte ich dir die Frage beantworten?«
    »Weil du ein anständiger Mensch bist, weil ich unschuldig bin, weil wir uns schon lange kennen, weil …«
    »Schon gut. In einer halben Stunde im Zoo, im Affenhaus.«
    »Warum sollte ich kommen?«
    »Weil ich ein anständiger Mensch bin, weil du unschuldig bist, weil du neugierig bist, weil …«
    »Okay, du hast mich überredet. Falls das eine Falle sein sollte, erschieß ich dich als Ersten.«
    »Ich bitte darum.«
    Vor der Telefonzelle beschwichtigte ich den kleinen Menschenauflauf mit erhobenen Armen. »Eine dringende Familienangelegenheit«, sagte ich und legte so viel Schmerz in die Stimme, dass die Umstehenden von tätlichen Angriffen auf mich absahen.
    Bis zum Zoo waren es fünf Minuten Schussfahrt auf dem Rennrad. Kein halbwegs normaler Mordverdächtiger hätte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, eine Verabredung mit einem Hauptkommissar einzuhalten. Aber ich war nun mal unschuldig und außerdem hatte ich schon so viele Fehler gemacht, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankam.
     
    Obwohl ich seit vierzehn Jahren in Münster lebte, hatte ich den Zoo erst drei Mal von innen gesehen. Gegen die meisten Viecher bin ich sowieso allergisch und den Rest bedaure ich, weil er sich die Welt durch Gitterstäbe angucken muss.
    Die Elefanten trompeteten mir etwas, als ich ihnen freundlich zuwinkte, und das Federvieh kreischte, was das Zeug hielt. Den Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen konnte man durch dicke Glasscheiben zuglotzen, wie sie mit ihrem eigenen Kot spielten oder sich gegenseitig die Läuse vom Pelz rupften. Ich glotzte stattdessen auf die beiden Eingänge, durch die entweder Stürzenbecher oder die GSG-9 kommen würden.
    Zu meiner Beruhigung war das Erste der Fall. Wir lächelten uns zu wie zwei Rentner auf dem Weg zum Seniorenklub.
    »Guck mal, wie der sich krault«, sagte Stürzenbecher.
    »Eine imposante Erscheinung«, nickte ich.
    »Meine Kinder liegen mir schon seit Wochen in den Ohren, dass sie die Affen sehen wollen.«
    »Ein schöner Ausflug für die ganze Familie«, bestätigte ich.
    Wir hätten stundenlang so weiterreden können. Übers Wetter, zum Beispiel. Oder über die Frage, ob Helmut Kohl wirklich so dumm war, wie er redete. Es gibt nichts, was ich im Affenhaus lieber tue.
    »Wer hat euch angerufen?«, fragte ich.
    »Eine Nachbarin.«
    »Hat sie ihren Namen genannt?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Du weißt doch, wie Nachbarn sind: Sie wollen ihrer Pflicht als Staatsbürger nachkommen, aber keinen Ärger haben. Sie rufen einfach an und sagen: In dem Haus Nummer sowieso ist ein Schuss gefallen. Sehen Sie mal nach! Und dann legen sie auf.«
    »Meine Nachbarn sind anders.«
    »Es gibt Nachbarn, die anders sind. Aber es gibt auch Nachbarn, die genau so sind.«
    »Glaubst du das?«
    »Es kommt nicht darauf an, was ich glaube. Es kommt darauf an, was ich beweisen kann.«
    »Hör zu«, sagte ich nicht ohne Pathos, »jemand will mich am Arsch packen. Und Merschmann ist genau der Mann, der seine Hand dafür zur Verfügung stellt.«
    Stürzenbecher beobachtete einen riesigen Gorilla, dem ich glatt einen Totschlag zugetraut hätte. »Kann schon sein.«
    »Heißt das, dass du auf meiner Seite stehst?«
    »Ich steh auf meiner Seite, Wilsberg. Vergiss das nicht. Wenn wir zufällig für dieselbe Mannschaft spielen, um so besser. Vorläufig bist du verhaftet.«
    »Was?«
    »Du bist verhaftet. Ich, der Kriminalbeamte, verhafte dich, den Verdächtigen.«
    »Ich bin unschuldig«, schrie ich ihn an.
    »Ich weiß.«
    »Nur ich kann meine Unschuld beweisen«, beschwor ich ihn.
    »Es ist besser für dich, glaube mir«, sagte Stürzenbecher, als rede er auf einen jugendlichen Fahrraddieb ein. »Die Freiheit ist viel zu gefährlich für dich. Kann sein,
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