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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe
Autoren: Francesca Melandri
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suchte nach etwas. Und sie fand es – Paolos Brieftasche, der sie den Zeitungsausschnitt entnahm. Als sie merkte, dass er wach war, lächelte sie ihn an, nicht im Mindesten verlegen, weil er sie beim Durchstöbern seiner Taschen ertappt hatte.
    Sie setzte sich neben ihn auf das Bett, das noch ihren Geruch verströmte. Sie schaute sich das Bild lange an, als wolle sie es sich genau einprägen. Die Falte in der Mitte des Zeitungspapiers durchschnitt den Oberkörper des kleinen Mädchens in dem Mäntelchen. Luisa legte sich das Papier auf die Knie und strich es behutsam glatt wie einen frischen Kissenbezug, bevor man das Kopfkissen hineinsteckte. Paolo sah, dass Luisa auch ihr eigenes Portemonnaie hervorgeholt hatte; es lag neben ihr auf der Decke.
    Jetzt sah Luisa zu ihm auf, schwenkte dabei das Fotos des Mädchens wie eine Fahne und sagte:
    Â»Das werde ich jetzt bei mir tragen.«
    Genau so sagte sie es. Nicht, das behalte ich , das verwahre ich , sondern das trage ich . So wie man es zu einem Gefährten auf einer Wanderung sagen würde, während man sich sein Gepäck für ein Stück Weg auflädt.
    Sie wartete nicht darauf, ob er zustimmte: Mit ihren starken Fingern, die so viel gearbeitet hatten, faltete sie das Papier wieder zusammen und steckte es in ihr Portemonnaie.

EINE PAUSE VOM DUNKEL
    EINE PAUSE
    VOM
    DUNKEL

…-Insel, den .. .. 1979
    An den Kommandierenden Maresciallo:
    Bezugnehmend auf den Ihnen am 3. dieses Monats zugestellten Bericht zur Revolte vom 2. dieses Monats, die von den Häftlingen der 1. Abteilung des Gefängnisses mit Hochsicherheitsauflagen (§ 354, 1975), dessen Leitung mir untersteht, begonnen wurde, teile ich Ihnen mit:
    Durch die von den aufständischen Häftlingen gezündeten Sprengkörper sowie Eisenstangen, die dieselben aus den Pritschen der Zellen gebrochen haben, wurden im Einzelnen folgende Objekte zerstört:
    40 Längsspinde, 40 Hochspinde, 20 Fernsehgeräte, 20 Waschbecken, 20 Stehklosetts, 18 Toilettentüren, 20 Fens ter, 20 Schlösser von Türen im Innenbereich, 15 Schlösser von Toren im Außenbereich, 50 kleine Tische, 50 Hocker, die Elektroinstallation und die Wasserversorgung in den Zellen (wodurch es zu Überschwemmungen kam).
    Darüber hinaus wurden zerstört: 100 Hosen, 100 Decken, 120 Betttücher, 51 Kissen mit Bezügen, darüber hinaus zerstört wurden die Zwischendecken von 18 Zellen, die die Aufständischen besetzt hatten, sowie die Decke im Gemeinschaftsraum. Wie oben ersichtlich, hielt ich es für angezeigt, alle Schäden festzustellen, zu Lasten der Verantwortlichen aufzulisten und Ihrer Dienststelle zur Kenntnis zu bringen.
    Der Brigadiere, Leiter der Außenstelle
    (UNTERSCHRIFT)
    durchgesehen und bestätigt:
    Der Unteroffizier im Aufnahmebüro
    (UNTERSCHRIFT)
    Paolo fand keinen Schlaf. Die letzten Nachrichten vor Sendeschluss hatten mit dem Bombenanschlag auf das Kaufhaus Standa in Vercelli aufgemacht. Nur durch einen glücklichen Zufall sei niemand verletzt worden. Bekennerschreiben gebe es nicht. Es sei die Fortsetzung eines anderen Anschlags gewesen, bei dem die Bombe, die auf den Gleisen der Bahnstrecke Genua-Rom gefunden wurde, nicht explodiert war. Augenzeugen hätten berichtet, dass ihnen eine Frau mit starkem ausländischem Akzent aufgefallen sei.
    Paolo erhob sich vom Sofa und suchte ein anderes Programm. Knöpfe drückend, schaltete er zwischen verschiedenen Lokalsendern hin und her, bis er bei einem ungewöhnlichen Bild hängen blieb: zu sehen war eine junge Frau im Unterkleid, die sich lächelnd an einer Stange festhielt; ihre Kleider lagen um sie herum verstreut am Boden.
    Ein Moderator mit Schnurrbart neben ihr las aus einem Hefter eine Frage vor. Er machte keine Anzeichen, sich selbst ausziehen zu wollen, wie man als Zuschauer angesichts seiner plumpen Leibesfülle nur erleichtert feststellen konnte. Technisch verstärkt hörte man im Studio ein Telefon schrillen, dann eine kratzige Stimme, die die Frage beantwortete.
    Die Antwort stimmte.
    Der Moderator beglückwünschte den Zuschauer, der von zu Hause aus angerufen und richtig geraten hatte. Und sofort hallte durchs Studio eine triumphale Melodie, die das Mädchen zu etwas veranlasste, was Paolo noch nie zuvor im Fernsehen gesehen hatte: Sich verführerisch windend, streifte sie sich das Unterkleid vom Leib und ließ es zu den anderen Kleidungsstücken am Boden
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