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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe
Autoren: Francesca Melandri
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rasch immer größer.
    Erst jetzt fiel ihnen ein, dass ihre Rückfahrkarten nur für den Vortag galten. Sie mussten noch umbuchen, bevor die Einschiffung begann. Ein wenig benommen von dem Wind, in dem sie so lange gesessen hatten, standen sie auf und liefen zum Fahrkartenschalter.
    Ihre Reservierungen galten für die wegen des Sturmes ausgefallene Autofähre, und so hatte der Mann hinter dem Tresen keine Bedenken, ihnen die Fahrkarten umzuschreiben. Paolo hatte eine Einzelkabine gebucht, Luisa nur die Überfahrt an Deck. Wie bei der Hinfahrt wollte sie in einem Sessel in dem großen Pas sagierraum schlafen.
    Paolo beugte sich zu ihr vor.
    Â»Würden Sie mir erlauben, Ihnen eine Kabine anzubieten? Sie sind seit drei Tagen unterwegs, und morgen liegt noch ein weiter Weg vor Ihnen. Ich möchte nicht, dass Sie die Nacht im Sitzen verbringen.«
    Â»Aber nein, das ist doch nicht nötig. Ich bin es gewohnt, zu …«
    Er unterbrach sie.
    Â»Luisa, ich weiß, dass Sie das gewohnt sind: sich aufzureiben, es unbequem zu haben. Aber Sie würden mir einen Gefallen tun. Einen großen Gefallen. Darf ich?«
    Sie neigte den Kopf, um das Lächeln zu verbergen, das sie überkommen hatte und auch innerlich strahlen ließ. Da es ihr nicht gelang, nickte sie.
    Â»Wir nehmen zwei Einzelkabinen«, sagte Paolo zu dem Mann am Schalter, der bereits Anzeichen schläfriger Ungeduld erkennen ließ. Er war schon dabei, die Karten abzutrennen, da legte Luisa, ohne Paolo anzusehen, eine Hand auf die Theke.
    Â»Nein, Entschuldigung, warten Sie. Wir nehmen eine Doppelkabine.«
    Paolo fuhr herum. Sie aber sah ihn nicht an, sondern hielt den Blick weiter auf den Mann hinter dem Schalter gerichtet, der seine Arbeit unterbrochen hatte, und irritiert zu den beiden Kunden aufschaute.
    Â»Was denn nun? Einzeln oder doppelt?«
    Erst jetzt erwiderte Luisa Paolos Blick. Ihre Augen strahlten vor Kühnheit und Stolz wie die eines kleinen Mädchen, das beim Stibitzen eines Kuchens erwischt wurde, aber erst, nachdem er schon ganz aufgesessen war.
    Â»Eine Doppelkabine«, sagte Paolo und legte seine Hand auf die von Luisa.
    Sie hielten sich an den Händen, während sie das Anlegemanöver beobachteten, während die Autos den Rumpf des Schiffes verließen, als man den Passagieren ein Zeichen gab, nun an Bord zu kommen. Hand in Hand standen sie in dem Restaurant unten im Zwischendeck an, wo warme Speisen ausgegeben wurden. Sie lösten sich nur voneinander, um sich ein Tablett zu nehmen und etwas zu essen daraufzustellen – Kleinigkeiten, denn beide hatten keinen großen Hunger. Eilig aßen sie und verschränkten dann ungeduldig, wie ein junges Pärchen, wieder ihre Hände. Gemeinsam schauten sie sich die Nachrichten an (von Bombenanschlägen, Prozessen, einem jungen Mann, den Neofaschisten mit einer Eisenstange verprügelt hatten), und stiegen dann wieder hoch an Deck, ohne dass sich ihre Hände auch nur einen Augenblick gelöst hatten.
    Der Bug hob und senkte sich, während er die langgezogenen Wellen durchfurchte, deren weiße Schaumkronen im Scheinwerferlicht der Fähre leuchteten. Das übrige Meer war nur noch eine düstere, grenzenlose Masse und wirkte sehr viel trüber als der Himmel mit seinen funkelnden Sternen. Der Große Bär war deutlich zu erkennen, auch das breite W der Kassiopeia, sogar die Milchstraße, die tatsächlich dort oben den Weg zu weisen schien.
    Keiner der beiden zeigte sich ungeduldig, schlafen zu gehen, aber auch nicht zaudernd. Keiner der beiden fragte sich, ob der andere wohl verlegen sei. Und keiner der beiden spürte selbst Befangenheit. Sie redeten wenig. Beiden reichte es, beisammen zu sein, einander an der Hand zu halten. Sie fragten einander nicht, ob der andere müde sei, ob sie nicht schlafen gehen sollten. Irgendwann stellten sie fest, dass sie gemeinsam die schmale Treppe vom Vorderdeck hinabstiegen, den Salon im Zwischendeck durchquerten, die Flure im Kabinentrakt entlangliefen, die Doppelkabine betraten, die sie gebucht hatten.
    Weder Paolo noch Luisa hatten sich je gefragt, wie es sein würde, nackt neben dem ebenfalls nackten Körper eines Menschen zu liegen, den sie nicht geheiratet hatten. Paolo, weil ihm der Körper seiner Frau immer eine derartige Lust geschenkt hatte, dass er sich nie etwas anderes wünschte. Luisa, weil ihr diese Frage ganz einfach nie in den Sinn gekommen war.
    Die Morde
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