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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe
Autoren: Francesca Melandri
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Glaspalast stand ein Geländewagen der Gefängnisverwaltung.
    Â»Guten Morgen, Dottore«, sagte Nitti.
    Â»Sind die Leute bei Ihnen?«
    Â»Natürlich. Ich habe sie nicht aus den Augen gelassen.«
    Hinter ihm waren Paolo und Luisa aufgetaucht. Der Direktor musterte sie aufmerksam, wie um sich zu vergewissern, dass über Nacht kein Personentausch stattgefunden hatte.
    Â»Ich bin gestern schon mal vorbeigekommen. Aber da war niemand hier. Wo waren Sie?«
    Â»Vielleicht war das, als wir gerade im Laden waren. Die beiden mussten zu Hause anrufen.«
    Paolo trat einen Schritt vor.
    Â»Wie Sie wissen, Herr Direktor, wurden wir hier durch das Unwetter festgehalten. Aber ihr Beamter hat uns keinen Moment allein gelassen. Im Gegenteil. Er hat uns bewacht, als seien wir Häftlinge und keine Besucher. Das wird noch ein Nachspiel haben. Ich werde mich bei dem zuständigen Richter be schweren.«
    Aus Augen, denen jeder Ausdruck fehlte, sah der Direktor ihn an.
    Â»Ach, tatsächlich? Ich fürchte um meine Karriere.«
    Dann wandte er sich an Nitti, als gehe die Sache weder Paolo noch Luisa etwas an: »Gegen Mittag trifft die Fähre hier ein. Der Kapitän hat mich angerufen. Er meint, das gibt einen hübschen Tanz auf den Wellen, aber er will trotzdem übersetzen. Er weiß, dass ich die Leute keine weitere Nacht hierbehalten kann.«
    Er drehte sich um und blickte Paolo in die Augen.
    Â»Schließlich sind das keine Häftlinge. Das sind Besucher.«
    Das war alles, was er zu sagen hatte. Er machte kehrt, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Die drei auf der Schwelle rührten sich nicht, bis das Fahrzeug verschwunden war. Dann wandte sich Nitti an Paolo.
    Â»Ich werde mich bei dem zuständigen Richter beschweren …«, kicherte er. »Wo haben Sie denn das her?«
    Paolo zuckte mit den Achseln.
    Â»Keine Ahnung. Ist mir so eingefallen.«
    Sie waren reisefertig, denn sie hatten kein Gepäck, und Kleider zum Wechseln hatten sie dankend abgelehnt. Als sie auf den Platz vor dem Haus traten, um in den Wagen zu steigen, umfing sie der Duft des großen Feigenbaumes. Nun, da der Wind abgeflaut war, verbreitete sich sein Geruch so durchdringend, so süß, dass es kaum zu ertragen war. Von seiner betörenden Kraft erfasst, musste Paolo ein wenig die Augen schlie ßen. Hätte er sagen sollen, welcher, mehr als jeder andere, der Duft von Framura für ihn war, hätte er keinen Moment mit der Antwort gezögert: der des Feigenbaums in ihrem kleinen Garten. Um sich von der Erinnerung loszureißen, hielt er sich an dem Griff zu einer Seite der Türe fest und schwang sich mit einem Satz in den Wagen.
    Sie hatten erst ein paar hundert Meter auf der Straße zwischen den niedrigen hellen Häusern zurückgelegt, als Paolo, den Feigenduft noch in der Nase, schon das Meer auftauchen sah. Blitzartig wurde es ihm bewusst:
    Das Wasser, das diese Insel umgab, diese Sonne, die seine Farben zum Leuchten brachte, dieser Himmel, an dem die Seevögel kreisten, das alles gehörte zu dem gleichen Mittelmeer, das auch gegen den Strand von Framura schlug, es war die gleiche Sonne, die es erwärmte, der gleiche Himmel, der sich über ihn, Emilia und ihren Sohn gespannt hatte, als sie noch glücklich waren. Und zum ersten Mal seit er diese Hochsicherheitsstrafanstalt besuchte, kam ihm dies nicht wie eine Verhöhnung des Schicksals vor.
    So unverständlich, widersinnig es auch sein mochte: Jetzt war es wie ein Geschenk für ihn.
    Kurz nach Mittag traf das Schiff ein. Maria Caterina hatte ihnen Getränke und mit Omelette belegte Brötchen gebracht. Die verzehrten sie, während sie auf der Mole saßen und beobachteten, wie die Wellen des immer noch unruhigen Meeres ans Ufer klatschten. Sie ließen die Beine über dem Wasser baumeln wie Touristen, die gegen Ferienende auf ihr Schiff nach Hause warteten. Von hier verfolgten sie das Hinüberwerfen der Taue, das Brodeln des Wassers, das von den mit voller Kraft rückwärtslaufenden Motoren aufgewühlt wurde, und das Auslegen des Landungsstegs.
    Als es Zeit war, an Bord zu gehen, und Paolo sich von Nitti verabschieden wollte, merkte er, dass er nicht wusste, wie. Auf Wiedersehen zu sagen, gelang ihm nicht. So drückte er ihm nur die Hand und bestieg dann das Schiff. Eiligen Schritts, die Verlegenheit und das Bedauern, sich nicht bedankt zu haben, trieben ihn fort.
    Auch Luisa drückte dem
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