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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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endlich in das weiße Hochzeitskleid hüllen und mit ihrem Bräutigam auf dem Foto verewigt werden.
    Ich sah eine meiner Kundinnen, mit der ich in ein paar Wochen einen Termin für eine Hochzeit hatte. Mit einem schuldbewussten Lächeln kam sie auf mich zu. »Elly, ich muss mit dir reden. Wegen meiner Feier, ich fürchte, dass ich dich nicht als Fotografin engagieren werde, es tut mir leid.«
    »Und wieso?«
    »Elly, deine Fotos sind wirklich wunderbar, aber ich muss auch auf mein Budget achten, und Samiras Angebot ist echt verlockend. Es tut mir leid.« Sie gab mir noch die Schulterklopfversion eines Judaskusses und wollte gerade zu ihrem Tisch zurückkehren, als ihr offenbar noch etwas einfiel und sie sich wieder umdrehte. »Den Vorschuss kannst du behalten, das ist nur fair.« Sie zwinkerte mir zu.
    25 Euro waren mir geblieben, nachdem ich mich zwei Nachmittage mit Fotoalben abgemüht hatte, um der zukünftigen Braut Beispiele für die anstehende Hochzeit zu präsentieren sowie die Anzahl und Größe der Fotos zu besprechen. 25 Euro.
    Hinter mir hörte ich, wie Frauengesang einsetzte, der das Eintreffen der Braut in ihrem ersten Kleid ankündigte.
    Roter Lippenstift befand sich auf den Zähnen der schönen Braut. Ich musste mich beeilen, bevor die Stylistin oder Samira es bemerkten. Dieses Foto musste ich haben.
    »Ja, prima, zeig dein strahlendstes Lächeln.«
    »Halt, halt, kein Foto machen, sie hat etwas auf den Zähnen.«
    Ich lächelte und machte blitzschnell meine Fotos.
    Samira ließ die Braut und den Bräutigam natürlich die unglaublichsten Dinge tun. Sie mussten einander auf die Stirn küssen, Rosen küssen, einander Gebäck anbieten. Er zu ihren Füßen, sie auf dem Thron, einander anschauen, einander umarmen, eine Pose nach der anderen. Allmählich fragte ich mich, ob nicht alles hier eine einzige Pose war, ein inszeniertes Spektakel.
    Ob die Braut und der Bräutigam wirklich verliebt waren? Unzählige Hochzeitsfeiern hatte ich in meinem Leben bereits abgelichtet, allerdings konnte ich mich nicht daran erinnern, dabei jemals Liebe festgehalten zu haben. Hunderte Hochzeitsfotos hatte ich gemacht, doch nie war es mir gelungen, Liebe, Verliebtheit oder zartes Glück zu verbildlichen.
    Aber, ach, wer bin ich, dass ich über die Liebe sprechen könnte? Ich würde die Liebe nicht erkennen, noch nicht einmal, wenn sie sich mir persönlich vorstellte.
    Liebe war keine Kunst. Liebe war Drama und Kitsch.
    Nackt wäre auch noch eine Möglichkeit.
    In dieser aggressiven Konkurrenzschlacht um die Bräute war alles erlaubt, Hauptsache, es war gewagt und originell. Und was konnte origineller sein als ein Paar, das in einer dramatisch romantischen Umarmung posierte?
    Nackt.
    Vor den Augen der verdutzten Gäste.
    Zeugen eines öffentlichen, nichts verhüllenden und grotesken Vorspiels.
    Ich hörte schon förmlich, wie die zu kurz gekommenen Frauen das Unaussprechbare dachten.
    Sex, Sex, Sex.
    Ob diese Frauen wohl Sex hatten?, ging es mir durch den Kopf, während ich das Paar vor mir aus verschiedenen Blickwinkeln ablichtete.
    Samira lief mir dazwischen. Sie bückte sich und hielt mir ihr ausladendes Hinterteil direkt vor die Linse, als sie das Kleid der Braut noch schön um ihre hübschen Füßchen herumdrapierte. Ich drückte ab.
    Unauffällig drehte ich mich zum Saal um und drückte ab, als ich den ersten Tisch ins Bild bekam. Ein Frauengrüppchen um die vierzig. Sie schienen sich sichtlich zu amüsieren. Ein Stück weiter saß eine weiße Frau ganz für sich allein an einem hübsch geschmückten Tisch. Eine der Schwestern der Braut setzte sich kurz zu ihr. Ich drückte ab.
    Es war halb vier in der Früh, als das Brautpaar endlich aufbrach und die abgekämpften Gäste sich so frei fühlten, nach Hause zu gehen.
    Wie immer waren sie enttäuscht, weil sie wegen der viel zu lauten Musik, die aus den strategisch platzierten Lautsprechern dröhnte, mit ihren Tischnachbarn kein ordentliches Gespräch hatten führen können und weil das Essen auf sich hatte warten lassen.
    Während ich meine Sachen zusammenpackte, sah ich einen weißen Mann, der in den Festsaal kam und sich suchend umsah. Erleichtert stand die weiße Frau auf.
    Ich verschwand, ohne mich zu verabschieden. Müde, aber mit einem Projekt.
    In meinem Studio sah ich mir die Fotos an, die ich während der vergangenen zwei Jahre auf zahlreichen Hochzeitsfeiern geschossen hatte. Es hatte etwas Befremdliches, diese Posen, diese unechten Umarmungen von Mann und Frau.
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