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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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könne, weil das Foto für sich selbst spreche. Wenn ich ein Foto erst erklären müsse, dann sei es fast sinnlos, es überhaupt gemacht zu haben.
    Ich hatte meinen eigenen Stil. Ich war nicht nur die Ausführende, sondern wurde selbst zu einem Teil des Bildes, das im Rhythmus zu meinen Körperbewegungen entstand. Ich umtanzte das Bild, die Atmosphäre, ich lockte die innerste Bedeutung des Moments, des einzigartigen Moments, hervor. In dem Augenblick, da er sich ein wenig stärker preisgab, ließ ich ihn sterben, um ihn für immer besitzen zu können. Meine Fotos bildeten etwas ab, das nicht wirklich zu fassen war, das flüchtig war, etwas, das zur Vergangenheit werden musste, und ich, ich sammelte das.
    Tausende Stücke vergangener Zeit befanden sich in meinem Besitz. Meine unvollendete Sammlung der Melancholie.
    Und Samira, die drehte Filmchen mit ihrer japanischen Kamera, um sie danach mit einer kitschigen Montage vollends zu verderben. Bei ihr hatten Täubchen, Rosen, Herzchen und ein Sonnenuntergang eine viel wichtigere Rolle als das Brautpaar selbst.
    Es kostete mich keine große Anstrengung, mir vorzustellen, was für Fotos sie machte, ob nun farbig oder schwarzweiß. Es würde Kitsch sein.
    Mit vorgehaltenem Fotoapparat ging ich auf sie zu.
    »Schöne Kamera hast du da. Weißt du denn auch, wie man damit umgeht?«
    Samira bedachte mich mit einem gönnerhaften Blick. »Ich lerne ziemlich schnell. Schon ein anderes Teil als dein Erbstück da, nicht wahr?« Sie grinste fies und legte ihre Kamera ab. »Hast wohl Schiss, was?« Frech sah sie mir in die Augen, um die Angst zu erkennen.
    Ich zog die Augenbrauen hoch.
    »Klar, du machst dir in die Hose«, fuhr sie fort und beschäftigte sich wieder mit ihrer Kamera. »Übrigens zu Recht. Wenn ich du wäre, könnte ich kein einziges scharfes Foto mehr machen. Denn weißt du was, meine Liebe, wenn es eins gibt, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann sind das blonde Schlampen, die sich in meinem Terrain tummeln.«
    »Wäre es nicht besser, du würdest bei deinen Filmchen bleiben?«
    »Die Stärke der Überlebenden liegt darin, dass sie flexibel sind. Ich verändere und erweitere mein Angebot. Entweder man wird vom Markt gefegt, oder man behauptet sich.«
    Schon immer war mir ihr selbstzufriedenes Lächeln zuwider gewesen. Bei jeder Hochzeitsfeier, auf der ich fotografieren musste, stolzierte sie mit besserwisserischer Miene umher, die den Anschein erwecken sollte, sie würde fachmännisch und mit sicherem Auge für die Schönheit eine Hochzeitsfeier filmisch dokumentieren können. Wie ich bereits erwähnte, versaute sie alles mit der Montage.
    »Du willst mir doch nicht etwa weismachen, die Leute bevorzugen Amateure statt Profis?«, versuchte ich es noch einmal.
    »Ich bin ein Amateur, der etwas zu bieten hat.«
    »Ach ja?« Nun war es an mir, vielbedeutend zu kichern. Was hatte sie denn schon zu bieten außer abgeschmackten Schnellschüssen auf Hochglanzpapier?
    »Ich spreche die Sprache der Mütter und Tanten der Bräute. Ich gebe ihnen Vertrauen.«
    Eins zu null für sie. Das typische Getue der Großfamilien, mit ihrem »Wir kennen uns«. Ein bisschen so wie bei den Italienern. Und dieses Gehabe konnte ausschlaggebend sein, wenn eine Wahl getroffen werden musste.
    »Ich garantiere ihnen, dass kein einziges von den Fotos, die hier gemacht werden, später in einem Schaufenster ausgehängt wird.«
    »Das mache ich doch auch nicht. Ich habe noch nicht einmal ein Schaufenster.«
    »Mag sein, Schätzchen, letztendlich zählt aber doch die Wahrnehmung. Ein Gefühl der Sicherheit, verstehst du? Wenn es sein müsste, könnte ich beim Kopf meiner eigenen Mutter schwören, dass meine Fotos und Filme nicht bekannt gemacht werden. Absolutes Berufsgeheimnis.«
    Sie drehte mir das grelle Licht, das sie auf einem Stativ befestigt hatte, mitten ins Gesicht, und ich fing an, mit den Augen zu zwinkern, als zweifelte ich noch daran, dass jeglicher Widerstand sinnlos war. Wenn sie jetzt tatsächlich anfing, Fotos zu machen, war mein Untergang besiegelt.
    »Platz da, Blondchen, weg hier.«
    Ich trat ein paar Schritte zur Seite, während Samira alle Vorbereitungen für den Auftritt der Braut in ihrem ersten Kleid des Abends traf. Wenigstens hatte ich die Gewissheit, dass der Abend und die Nacht lang werden würden und die Braut sich in mindestens drei verschiedenen Kleidern mit entsprechender Aufmachung im Festsaal präsentieren würde. Und als Finale würde die Braut sich dann
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